Claus Peter Müller
von der Grün

Was passiert, wenn Zinsen steigen?

Sind niedrige Zinsen gut oder schlecht? Bergen sie Risiken? Und interessieren sich Unternehmen der Sozialwirtschaft derzeit überhaupt für etwas, das es gar nicht gibt, wie Zinsen? Es kommt darauf an.

So lautet die Antwort, die Christian Schwarzrock und Olaf Kreuzberg auf diese Frage am Strategieforum für die Gesundheitswirtschaft der Evangelischen Bank gegeben haben, das ich in Berlin moderiert habe. Christian Schwarzrock ist Prokurist und Abteilungsleiter Finanzmanagement Institutionen der Evangelischen Bank, und Olaf Kreuzberg ist Direktor Marktfolge Kredit der Evangelischen Bank. Schon die Tatsache, dass hier Vertreter des Markt- und des Marktfolgebereichs gemeinsam als Team auftraten, ist ungewöhnlich und ein Zeichen für die Besonderheit der Bank, denn diese beiden Bereiche, die für die Gewinnung von Kunden und für die Überwachung des Risikos stehen, sind in Banken aus gutem Grunde strikt getrennt, und die Mitarbeiter der Marktfolge bleiben dem Kunden meist verborgen.

Um mit der dritten der eingangs gestellten Fragen zu beginnen: Die Zinspolitik ist offenbar nicht das beherrschende Thema in der Gesundheitswirtschaft. Nach dem Altenhilfebarometer der Curacon von 2018 halten 81,3 Prozent der Träger von Pflegeeinrichtungen die Steigerung ihrer Arbeitgeberattraktivität für ihre zentrale Herausforderung, denn Personal ist knapp und kostbar. Bauliche – und mithin potentiell kapitalintensive - Veränderungen folgen im weiten Abstand mit 42,1 Prozent auf dem zweiten und die Digitalisierung von Prozessen mit 33,8 Prozent auf dem dritten Rang der Nennungen.

Doch es gibt strukturelle Veränderungen im Pflegemarkt, auf die eine Bank durchaus schaut, wie den Trend zur Ambulantisierung, weil sie durchaus Auswirkungen auf die Finanzierung haben können. Stationäre Einrichtungen sind aus der Sicht der Bank bisher Sozialimmobilien mit einer gesicherten Refinanzierung über die Investitionskosten. Einrichtungen für betreutes Wohnen aber sind Wohnimmobilien, und müssen sich über die Nettokaltmiete refinanzieren, die am jeweiligen Ort durchzusetzen ist. Damit sinkt der Beleihungswert der Immobilien. Und sind die Gesundheits- und Sozialwirtschaft überhaupt Wachstumsmärkte? Die Analysten widersprechen sich. Das Fritz-Beske-Institut sieht einen Bedarf an zwei Millionen Heimplätzen bis 2060. Die Bank für Sozialwirtschaft hält dagegen 819.000 Heimplätze bis 2040 für ausreichend. Und wie wirken sich die Pflegestärkungsgesetze tatsächlich aus? Wird es genug Fachkräfte geben, und was will der Kunde?

Aus Sicht einer Bank geht es also um mehr als Bonität, Kapitaldienstfähigkeit, Transparenz und professionelle Finanzplanung. Sondern das Management einer Sozialeinrichtung muss seine Geschäftsmodelle und lokalen Versorgungsstrukturen weiterentwickeln, das nötige Personal gewinnen und auch binden, seine Corporate-Governance-Strukturen durch die Besetzung der Gremien mit kompetenten Fachleuten sowie die Etablierung schlanker und schneller Entscheidungsprozesse stärken und schließlich die eigene Marke herausbilden, schärfen und festigen.

Das ist schon herausfordernd genug, und die Beschäftigung mit den eigenen Themen lässt kaum Zeit, sich mit den Fragen einer „Hyazintik“ wie der Zinsentwicklung zu befassen. „Zinsen? Merkt doch keiner“, wird das Thema schulterzuckend abgeschüttelt. Doch auch Null-Prozent-Zinsen, die vermeintlich keiner spürt, haben Folgen. Die Kosten eines Kredits werden für den, der ihn vergibt, nicht mehr gedeckt. Das ist schlecht und in der Konsequenz tödlich für die Bank, indes der Kunde Orientierung einbüßt, weil der Zins seine Bedeutung als Risikoindikator verliert. Am Ende ist es der Staat, der nur noch Geld schöpft für die Kredite, und das klassische Bankensystem, das Einlagen sammelt und Kredite vergibt, verliert seine Bedeutung. Indes haben die Anleger längst den Notstand ausgerufen und sind in vermeintlich sichere Sachwerte wie Immobilien geflohen, deren Preise sich weit vom Wert der Sache selbst entfernt haben. Strukturreformen bleiben aus, weil es billiger erscheint, sich einfach „Zeit zu kaufen“, um sich Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Unternehmen zu ersparen. Sollte dagegen eine echte Krise kommen, sind die Zentralbanken hilflos, denn sie haben sich vor dem Abwehrkampf schon selbst entwaffnet.

Und was passiert eigentlich, wenn die Zinsen eines Tages wieder steigen, denn weiter fallen können sie doch nicht? Dann werden – mit den steigenden Renditen der Staatsanleihen - die Preise von Immobilien und Aktien sinken, der vernichtende Druck auf bonitätsschwache, mehr oder minder ferne Länder nimmt zu, aber auch der Druck auf Krankenhäuser und Pflegeheime in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Die Folgen sind gravierend: Sollte der durchschnittliche Zinsaufwand für ein durchschnittliches Krankenhaus nur um zwei Prozentpunkte von drei auf fünf Prozent steigen, fällt in der Simulationsrechnung der Jahresüberschuss von 1,3 auf 0,4 Prozent gemessen als Anteil am Umsatz. Das Verschuldungspotential, also die Fähigkeit, Fremdkapital aufzunehmen, halbiert sich nahezu, und der Wert des Krankenhauses je Fall sinkt um 16 Prozent. Das durchschnittliche Pflegeheim wird bei einem Zinsanstieg um zwei Prozent keinen Überschuss mehr ausweisen, sein Verschuldungspotential fällt und sein Wert je Heimplatz verringert sich um 16 Prozent. Die Kapitalbeschaffung wird zum Problem.

Es lohnt also, sich mit den schmerzfreien Veränderungen schon heute zu befassen. Der Rat der Evangelischen Bank lautet: „Fixieren Sie die Zinsen möglichst lange. Decken Sie sich rechtzeitig mit Fremdkapital ein. Prüfen Sie aktuelle Marktpreise kritisch auf ihre Nachhaltigkeit und grundsätzliche Rentabilität, um vor bösen Überraschungen geschützt zu sein, und planen Sie Rentabilitätsreserven ein.“ Vor allem aber gilt: „Werden Sie nicht abhängig“ – von einer Null-Prozent-Zins-Politik, einem süßen Gift, das wie eine Droge wirkt, die ihren Konsumenten in seiner Selbstwahrnehmung stärker werden lässt, als er es in Wahrheit ist.

https://www.eb.de/content/dam/f0591-0/eb_2018/ueber_uns/PDF/EinBlick_3_2018.pdf