Claus Peter Müller
von der Grün

Verantwortung, Ideen, Aufstiegschancen

Das erwarten junge Leute von ihrer Karriere im öffentlichen Dienst. Ich sprach mit Prof. Dr. Veit von der Universität Kassel über den Wandel in der Verwaltung und die Rolle von Regierungspräsidien. Klingt verstaubt? Ist es aber nicht! Lesen Sie selbst.

Prof. Dr. Sylvia Veit

Frau Professor Dr. Veit, Sie befassen sich wissenschaftlich mit Verwaltung. Ist das spannend?

Ja, alle denken, es sei verstaubt, aber kein Staat funktioniert ohne Verwaltung. Im modernen Wohlfahrtsstaat besteht der öffentliche Sektor aus unterschiedlichsten Organisationen mit einer Vielzahl von Aufgaben – denken Sie nur an so verschiedene Bereiche wie Schulen, Universitäten, die Polizei, Umweltämter, Ministerien, die Bundesbank oder öffentliche Unternehmen. Wissenschaftlich spannend ist zum Beispiel, wie diese Organisationen gesteuert werden, wie das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung aussieht oder wie Qualitätssicherung funktioniert.

Funktionierte ein Staat denn ohne Regierungspräsidien?

In den meisten deutschen Flächenländern haben regional ausgerichtete Bündelungsbehörden eine lange Tradition und erfüllen wichtige Aufgaben im Verwaltungsgefüge. Niedersachsen hat seine Bezirksregierungen – das Äquivalent zu den Regierungspräsidien in Hessen – 2005 abgeschafft, und es hat sich gezeigt, dass die Personalabbaueffekte eher gering waren. Das hätte man auch anders erreichen können. Gleichzeitig gab es in bestimmten Bereichen, etwa der Umweltverwaltung oder bei der Koordination in Planungs- und Genehmigungsprozessen, Qualitätseinbußen. Und mit der Einführung der Ämter für regionale Landesentwicklung wurde die Abschaffung der niedersächsischen Bezirksregierungen ja dann auch teilweise wieder zurückgenommen.

Wo liegen die Vorteile von Regierungspräsidien?

Diese Behörden verfügen über die Kenntnis der Region, bündeln verschiedenste Verwaltungsaufgaben in einer Behörde, erleichtern dadurch die Koordination und ermöglichen den Verzicht auf zahlreiche Sonderbehörden. Die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch Regierungspräsidien bringen auch Kostenvorteile, da Spezialisierungen möglich sind und Fachkompetenz gebündelt werden kann.

Aber sind diese Bezirksregierungen in Zeiten, in denen Europa als weitere suprastaatliche Ebene hinzugekommen ist, noch zeitgemäß – oder überflüssig?

Sicher sind sie noch zeitgemäß. In Baden-Württemberg zum Beispiel wurden diese Behörden in den letzten Jahren gestärkt, weil viele Aufgaben von Sonderbehörden auf sie übertragen wurden. Und für Europa sind die Regionen als Bezugspunkt sehr wichtig. Die EU hat ja auch kaum eigene Verwaltungsbehörden. Die Verwaltungsaufgaben werden fast alle weiterhin von den Verwaltungen der Mitgliedsstaaten wahrgenommen, und da spielen die Landesverwaltungen in Deutschland eine sehr wichtige Rolle. Das wird auch zukünftig so bleiben.

Frau Prof. Dr. Veit, Sie gestalten die Zukunft von Verwaltung, denn sie sind wissenschaftliche Leiterin des berufsbegleitenden Studiengangs „Master of Public Administration“ der Unikims, der Management-School der Universität Kassel. Ist das Interesse junger Leute an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Verwaltung groß?

Sehr groß! Den Studiengang gibt es seit knapp zwei Jahrzehnten und er zieht Studierende aus ganz Deutschland an. In den letzten Semestern haben wir die Zahl unserer Studiengruppen mehr als verdoppelt und müssen dennoch jedes Semester viele Studieninteressierte auf die Warteliste setzen. Die Studierenden arbeiten in allen Bereichen des öffentlichen Sektors, auch in Regierungspräsidien. Sie sind hoch motiviert, weil sie einen Sinn in der Arbeit für das Gemeinwesen sehen und ihre Ideen einbringen wollen.

Was muss man denn heute lernen, um morgen gut verwalten zu können? Denn gut verwaltet haben doch schon Napoleon und der Alte Fritz.

Es ist richtig, mit der Aufklärung wurden die Grundlagen für die Moderne gelegt, aber seitdem hat sich doch einiges getan. Verwaltungen heute „verwalten“ nicht nur, in modernen Demokratien koordinieren sie auch Planungs- und Entscheidungsprozesse, wie es zum Beispiel das Kasseler Regierungspräsidium tut. Sie tauschen sich mit Bürgern aus, sind in Verhandlungen auf EU-Ebene involviert, beraten die Politik und steuern Innovationsprozesse. Außerdem stellen sich etwa durch die digitale Transformation und die Europäisierung viele Herausforderungen. Und natürlich haben sich auch die Anforderungen der Bürgerinnen und Bürger an die Verwaltung verändert, weg vom Untertanen hin zum selbstbestimmten Bürger.

Wie hat der Wandel den Alltag heute schon erfasst?

Ich bleibe mit meinem Beispiel bei den Studierenden. Für sie ist im Verwaltungsalltag vor allem die Digitalisierung ein großes Thema. Dabei geht es nicht nur um Veränderungen hergebrachter Kommunikationsformen oder die eAkte, sondern auch um die Digitalisierung aller internetfähigen Dienstleistungen und im Zusammenhang mit der Forderung nach Open Government auch um Transparenz des Verwaltungshandelns, die Bereitstellung von Daten für Bürgerinnen und Bürger und um neue Formen der Partizipation. Zudem hat der internationale Verwaltungsreformtrend des New Public Managements in den letzten zwei Jahrzehnten dazu geführt, dass Leistung und Performance in Verwaltungen viel wichtiger geworden sind, der Effizienzgedanke hat Einzug in die Verwaltungen gehalten.

Was heißt in diesem Zusammenhang Leistung, Performance und Effizienz? War Verwaltung bisher ineffizient?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber sicher fehlten mancherorts die Leistungsanreize und die Anreize zum effizienten Umfang mit öffentlichen Geldern – man denke an das berühmte „Dezemberfieber“. Performance und Leistung sind je nach Verwaltungsaufgabe und Bereich unterschiedlich zu definieren und zu messen. Insbesondere wenn es sich um sehr komplexe Aufgaben handelt und um Aufgaben, deren Nutzen sich nicht so leicht quantifizieren lässt wie in einigen Bereichen der Sozialverwaltung, sind hier aber auch Grenzen vorhanden. Privatwirtschaftliche Effizienzansätze lassen sich nicht eins zu eins auf die öffentliche Verwaltung übertragen.

Ist nun die Digitalisierung der Auslöser und Beschleuniger dieser Entwicklung? Mir sagte jüngst ein Bürgermeister, er denke, dass er ein weißes Blatt nehmen und Verwaltung ganz neu entwerfen müsse.

Die Digitalisierung bietet viele Chancen zur Schaffung von Transparenz, zur Verbesserung der Bürgerfreundlichkeit, zur Erhöhung der Nachhaltigkeit und auch zur Effizienzsteigerung. Die Idee des „weißen Blattes“ ist sicherlich gut, um neue Ideen zu entwickeln und Innovationen anzustoßen. In der Praxis ist aber die Vorstellung, bestehende Strukturen, Prozesse und Normen komplett über Bord zu werfen aus meiner Sicht weder realistisch noch wünschenswert.

Auch wenn es nur ein Ausschnitt ist, aber wie haben denn die modernen Informationstechniken die Verwaltung bisher schon verändert?

Die gesamte Veraktungskultur der Verwaltung ändert sich. Kommunikation wird vereinfacht und beschleunigt – und das betrifft natürlich nicht nur verwaltungsinterne Prozesse, sondern auch die Kommunikation mit Bürgern oder den Medien.

Das heißt: Wir wählen in der Kommunikation den direkten, digitalen Trampelpfad statt des alten Dienstwegs?

Der Dienstweg ist noch immer das formale Verfahren, aber die informellen Praktiken ändern sich. Das kann Entscheidungsprozesse beschleunigen und Koordination erheblich vereinfachen.

Sie sprachen die Kommunikation mit den Bürgern an. Wie offen für Vorschläge der Bürger darf Verwaltung in Planungsprozessen sein, - auch wenn sich vielleicht nur ein lauter, meinungsstarker Teil der Öffentlichkeit einbringt?

Viele Bürger fühlen sich in der repräsentativen Demokratie nicht mehr immer gut vertreten, das zeigt sich in der wachsenden Anzahl an Nicht- und Protestwählern und in einer zunehmenden Politikverdrossenheit. Man möchte sich themenbezogen einbringen können. Vor allem auf kommunaler Ebene hat das dazu geführt, dass direktdemokratische Elemente und neue Partizipationsformen an Bedeutung gewonnen haben. Natürlich werden diese Angebote nicht von allen gleichermaßen genutzt, aber ich denke nicht, dass deshalb der Weg zurück der bessere wäre. Wichtig ist, dass Partizipationsmöglichkeiten von den Bürgern nicht als Alibiveranstaltung empfunden werden, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung stattfindet. Das kann für Politik und Verwaltung sehr herausfordernd und schwierig sein.

Wie kann sich die Verwaltung auf die veränderten Erwartungen der Bürger einstellen?

Ganz wichtig ist, dass auch Verwaltungen sich immer wieder an veränderte Rahmenbedingungen anpassen müssen – hin zur lernenden Organisation. Wir schulen die Studierenden deshalb beispielsweise im Change Management. Natürlich behandeln wir im Studium auch konkrete Herausforderungen wie den demographischen Wandel, die interkulturelle Öffnung der Verwaltung oder die schon erwähnte Digitalisierung.

Change Management und lernende Organisation - Was heißt das im Behördenalltag konkret?

Das heißt vor allem, dass dies als zentrale Herausforderung und Führungsaufgabe begriffen werden muss, damit zum Beispiel die digitale Transformation der Verwaltung gelingt.

Zumindest der deutsche Staat will seine Verschuldung einhegen und strebt die schwarze Null an. Muss er also Stellen streichen?

Ganz neu ist das ja nicht – Haushaltskonsolidierung und Personalabbau sind schon seit den 1990er Jahren ein wichtiges Thema. In vielen Bereichen der Verwaltung waren die Kürzungen so massiv, dass ein weiterer Personalabbau kaum mehr möglich ist. So war etwa auf Bundesebene der Tiefpunkt schon 2008 erreicht, seitdem hat es wieder einen leichten Personalaufbau gegeben. Vielerorts wird zudem verstärkt auf befristet Beschäftigte zurückgegriffen und es wird insgesamt seltener verbeamtet. Gleichzeitig standen Privatisierungen auf der Agenda. Es wird in vielen Bereichen auf öffentlich-private Partnerschaften, sogenannte PPPs, zurückgegriffen, oder es werden Aufträge an Dritte vergeben. Für die Verwaltung bedeutet das unter anderem, dass neue Kompetenzen und Aufgaben wichtig geworden sind. Und dass Personalentwicklung ein ganz wichtiges Thema ist, damit trotz manchmal schwieriger Rahmenbedingungen die Motivation und Arbeitszufriedenheit erhalten bleibt!

Welche neuen Kompetenzen sind gefordert, und für welche Aufgaben muss das Personal wie entwickelt werden?

Beispielsweise werden Kompetenzen im Projektmanagement, Beteiligungsmanagement und im IT-Bereich wichtiger. Mit Personalentwicklung meine ich aber nicht nur den Bereich der Schulungen und Fortbildungen, sondern auch die Dezentralisierung von Verantwortung, die Öffnung von Karrierepfaden, die Wertschätzung von Engagement und Ideen sowie die Schaffung motivationsfördernder Rahmenbedingungen wie die Unterstützung von Telearbeit in geeigneten Fällen.

Demnächst gehen die Babyboomer in den Ruhestand, - auch in der Verwaltung. Leeren sich dann die Amtsstuben?

In manchen Bereichen ist jetzt schon spürbar, dass es schwierig ist, geeignete Nachwuchskräfte zu finden – vor allem dort, wo die Verwaltung mit der Privatwirtschaft oder anderen Sektoren konkurriert. Allein durch Personalmarketing lässt sich das nicht lösen. Wichtig ist, dass die Verwaltung ein attraktiver Arbeitgeber ist, und das hat ganz viel mit individuellen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zu tun!

Was erwarten denn Ihre Studierenden von ihrem künftigen Arbeitgeber?

Sie wollen Verantwortung übernehmen, ihre Ideen einbringen können, Aufstiegschancen haben.

Und wo liegen die Stärken der Regierungspräsidien in der Zukunft?

Der demographische Wandel stellt insbesondere die Kommunalverwaltungen vor große Herausforderungen. Gerade kleinere Kommunen werden einige Verwaltungsaufgaben – insbesondere diejenigen, die ein hohes Spezialwissen erfordern – nicht mehr aus eigener Kraft wahrnehmen können. Hier kann interkommunale Kooperation ein Ausweg sein oder auch die Wahrnehmung von weiteren Aufgaben durch regional ausgerichtete Bündelungsbehörden aus Gründen der Wirtschaftlichkeit. Sicher gibt es hier ein Spannungsfeld zwischen Verwaltungseffizienz einerseits und demokratischer Kontrolle und Partizipation andererseits. Deshalb sind Partizipation, Bürgerorientierung und Digitalisierung wichtige Zukunftsthemen für die Regierungspräsidien. Zudem wird die regionale Nähe, welche die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten bei der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben ermöglicht, auch in Zukunft eine Stärke der Regierungspräsidien bleiben.