Claus Peter Müller
von der Grün

Tagebuch aus der Neurochirurgie

Prof. Dr. Behr ist nach Neuseeland gereist, um am Starship-Hospital in Auckland sechs Patienten ein Auditory Brainstem Implantat (ABI) einzusetzen und dem Team von Prof. Michel Neeff sein Wissen als Implanteur zu vermitteln. Behr führt ein Tagebuch auf meiner Website.

Prof. Dr. Behr und Dr. Neeff im Starship Hospital Auckland - Neuseeland

Geschafft: Der erste Tag im OP in Neuseeland

Montag, 5. März 2018. Der erste Tag ist geschafft! Heute habe ich zwei Kinder operiert. Der Bio-Ingenieur des Implantatherstellers Med El ist mitgekommen, um die intraoperativen Messungen zu machen. Dr. Marek Polak ist ein sehr erfahrener Mann, der seine Ausbildung in Amerika absolviert und dort lange gearbeitet hat. Aber alles nach der Reihe.

Wir sind nach etwa 23 Stunden reiner Flugzeit gut in Neuseeland angekommen, wussten nicht so genau ob wir mit 12 Stunden Zeitunterschied müde oder schon wieder wach waren. Nach dem Einchecken im Hotel sind wir mit Prof. Michel Neeff, HNO, in die Klinik gefahren, um die Bilder aller Patienten anzusehen und mit den Eltern der zwei Kinder, deren Operationen für den Montag geplant waren, zu sprechen.

Eines der Kinder, es heißt Niamph - das ist Gälisch und wird Niief ausgesprochen - habe ich vor zwei Jahren in Fulda operiert. Anfänglich hatte das Mädchen gute Hör-Resultate, aber dann wurde das Gehör langsam schlechter. Niamph hörte nichts mehr. Zusammen mit den Kollegen aus Neuseeland, die uns alle Befunde, Hörprüfungen und CT-Bilder geschickt hatten, diagnostizierten wir eine Dislokation der Hörsonde. Es stand die Frage einer Revisions-OP an. Da Niamph auch sonst nicht gesund ist, sie hat ein Goldenhar-Syndrom, habe ich Bedenken angemeldet, da sie wahrscheinlich kein sehr gutes Hörvermögen erzielen kann und kein offenes Sprachverständnis erreichen wird. Das OP- Risiko und das zu erwartende Ergebnis waren schwer gegeneinander abzuwägen. Dafür sprachen die ersten Resultate und die sehr guten Ableitungen bei der ersten OP, dagegen das Risiko und ihr syndromaler Hörschaden, Goldenhar.

Wir haben am Sonntag noch mal lange und ausführlich mit dem Vater gesprochen, der übrigens nach seinem Aufenthalt in Deutschland angefangen hat, weiterhin Deutsch zu lernen in Neuseeland, und spricht es schon ganz gut! Er ist sich bewusst, dass sein Kind womöglich nur Umgebungsgeräusche wahrnehmen wird, aber er war von der OP und der Chance überzeugt.

Die OP war sehr schwer wegen der Vernarbungen und der schwierigen Entfernung und der Reimplantation der Sonde. Es wurde dasselbe Implantat verwendet, also kein Neues. Die Elektrode wurde herauspräpariert und an der richtigen Stelle wiedereingesetzt. Es stellte sich tatsächlich heraus, dass die Sonde nach unten und zur Mitte hin verschoben war. Die Messungen bei der OP zeigten sehr gute Potentiale, ich war mit der Entscheidung für den Eingriff also sehr froh. Nach der zweiten OP haben wir die Kleine auf der Intensivstation besucht. Sie war schon wach und hat alles bewegt. In  etwa 6 Wochen werden wir wissen, ob es auch zu einem Hörvermögen gekommen ist – vieles spricht dafür.

Das zweite Kind stammt von Maori Eltern und ist auch 4,5 Jahre alt, ein Mädchen namens Maraia. Schon im Neugeborenen-Screening wurde die Ertaubung festgestellt. Die Mutter wollte ein Implantat, aber die Großmutter, die in der Familie traditionell das Sagen hat, hatte sich gesperrt. Es folgten viele Gespräche von den Kollegen vor Ort. Die MRT (Magnetresonanztomographie) zeigte, dass beide Hörnerven nicht angelegt waren. Es gab also keine Chance auf natürliches Hören.

Die Großmutter konnte allmählich überzeugt werden, dass die OP für Maraia die einzige Chance ist, durch hören kommunizieren zu können. Wir haben mit der Familie lange gesprochen und ihr zugeraten. Auch hier lastet die ganze Verantwortung dieses Familienzwistes oder der Familien-Entscheidung auf einem – zumindest gefühlt, nämlich auf mir.

Die OP lief absolut glatt, hervorragende Ableitung innerhalb der OP, keine Komplikationen – Gott sei Dank. Dennoch, es war sehr schwierig. Der Eingang zum Nukleus cochlearis war verwachsen und schwer zu öffnen, es klappte aber sehr gut. Ich war darüber an sich ganz froh, weil ich den Kollegen zeigen konnte, wie es in einer ungünstigen Konstellation aussehen kann, worauf man achten muss, und was zu tun ist – sonst lernen sie ja nichts und denken, es sei immer ganz easy. Morgen werden wir das Kind sehen, es schläft zurzeit noch die Narkose aus.

Für Morgen steht eine 57jährige Patientin mit Vornamen Gretchen auf dem Plan, die NF-2 hat. Sie ertaubte im September letzten Jahres durch einen sehr großen Tumor auf der rechten Seite.  Links ist sie schon lange ertaubt. Sie will unbedingt wieder hören, kann recht gut Lippen lesen und ist recht nervös – was man verstehen kann. Sie hat sich schon fast auf der ganzen Welt schlau gemacht und mit vielen NF-2 Patienten gechattet. Der Tumor muss aber entfernt werden, er ist schon zu groß. Mal sehen, wie es morgen laufen wird, es wird sicher sehr lange dauern – heute waren wir auch erst um 19 .30 lokal fertig  – im wahrsten Sinne des Wortes.

Phil ist ein besonderer Mensch

Dienstag, 6. März: Wir sind heute wieder um kurz nach 7 Uhr in die Klinik gefahren. Zuerst haben wir die beiden Kinder, die wir gestern operiert hatten, auf der Kinderintensivstation besucht. Es geht beiden sehr gut. Es bestehen keine Ausfälle, und beide sind laut den Eltern so wie immer, vielleicht etwas weinerlicher, aber das ist normal. Vorweggenommen sei, dass wir am Abend - kurz vor der Rückfahrt zum Hotel - die postoperativen CT Bilder noch angesehen haben. Diese sind normal und die Elektroden liegen richtig. Alle waren angesichts dieses Verlaufes, auch wenn er natürlich noch sehr kurz ist, sehr froh, auch die Oma von Maraia.

Heute erfolgte die OP der 57jährigen NF-2 Patientin. Ich hatte heute etwas weniger zu tun, was mir wegen des OP Marathons am Montag gut entgegenkam. Die Kollegen haben den Tumor komplett entfernt, ich war die ganze Zeit im OP zugegen und wir haben die OP-Abläufe gemeinsam besprochen. Ich habe dann die Testelektrode eingesetzt. Wir hatten über alle Stimulationspaare sehr gute Antworten. Dr. Neeff hat unter meiner Anleitung seine erste ABI Sonde implantiert. Nach wenigen Umsetzungen gab es dann auch wieder tolle Ableitungen an allen zwölf Elektroden. So soll es am Anfang sein. Auch sonst verlief die OP ohne Probleme. Mal schauen wie es Gretchen, so heißt die Patienten, morgen geht.

Nach der OP haben wir den Patienten für morgen besucht, um nochmal mit ihm zu sprechen und uns ihm und seiner Familie vorzustellen. Phil ist ein besonderer Mensch. Er erlitt 2008 aus voller Gesundheit eine Pneumokokken-Meningitis, ertaubte und erblindete in der Folge. Zudem ist er wegen einer Querschnittlähmung, die auch eine Folge der Entzündung ist, an den Rollstuhl gefesselt. Er kommuniziert über eine Übersetzerin mit Zeichen, die diese in seine linke Hand tippt.

Phil ist trotz allem voller Kraft. Er hält Motivationsvorträge, oft auch vor Schülern, wie er uns sagte, aber auch vor anderem Publikum und hat ein kleines Büchlein über sich und den Umgang mit seinem Schicksal geschrieben. Er ist zwar mit einem CI rechts versorgt, hört aber damit nicht. Die Indikation war damals nicht richtig, er hätte gleich ein ABI gebraucht, weil die Cochlea beidseits stark verknöchert war. Es war deshalb nur eine kurzstreckige Implantation möglich, das heißt: nur wenige Elektroden sind überhaupt verwendbar, und die sind schlecht. Für ihn wäre es natürlich toll, wieder etwas hören zu können. Obwohl er schon etwas Sorge, nicht Angst, hat, ist er voller Zuversicht. Seine Kommunikation ist jetzt zwar phänomenal, aber halt sehr eingeschränkt, und er braucht immer die Dolmetscherin, die die Zeichensprache in die Hand und Finger tippt. Wir hoffen sehr, dass es klappt, aber Phil ist halt schon fast 10 Jahre taub. Das ist eine Einschränkung, aber keine Kontraindikation.

Um 19.30 waren wir dann wieder im Hotel, ein langer aber sehr erfolgreicher und eindrucksvoller Tag.

Ein super Ergebnis für Phil

7. März: Heute ist Phil an der Reihe. Auch hier hat das NZ Team begonnen und den Zugang von retrosigmoidal her gemacht. Das war etwas schwierig, weil Phil Muskeln hat wie ein Stier. Die Verwachsungen nach der Hirnhautentzündung waren zwar deutlich, aber ich habe schon schlimmere gesehen. Peter Heppner hat unter meiner Assistenz die Präparation weitgehend gemacht, nur unmittelbar am Hirnstamm habe ich dann übernommen. Es durfte bei den Vorschäden keinesfalls ein weiterer Schaden dazukommen. Die Schlucknerven und der Vagusnerv waren stark mit dem Hirnstamm verwachsen und mussten mit der Mikroschere abgelöst werden. Dann konnte man den Eingang zum Hörnervenkern weiter öffnen. An dieser Stelle - also am Kern selbst - waren keine Verwachsungen. Die Stimulationssonde konnte also gut eingelegt werden. Und siehe da: Wir hatten sofort hochamplitudige Potentialantworten. Das ist die Voraussetzung für ein letztendlich gutes Ergebnis. Wir, oder besser Dr. Polak, der Bioingenieur, konnte alle Elektroden positiv stimulieren, ein super Ergebnis angesichts der Vorgeschichte.

„Da kann man nur demütig werden“

8. März: Heute hatten wir wieder eine spannende Operation, und wieder war es etwas anderes und Neues. Der Patient, Glen, Jahrgang 1969, NF-2, wurde in den 1990er Jahren auf der rechten Seite operiert. Hier hat er eine Gesichtslähmung, Facialisparese, und wegen eines schweren Kleinhirn- und auch Hirnstammschadens eine Gangstörung. Große Teile des rechten Kleinhirns sind atrophiert und auch am Hirnstamm, nahe am Hörnervenkern, fehlt Hirngewebe. Links ist er seit 2000 ertaubt nach der Tumoroperation. Er ist über die Aktivität von Collin Anderson, einem meiner früheren Patienten aus Neuseeland, auf die ABI Möglichkeit hingewiesen worden und hat sich mit Collin besprochen. Collin hat vom ABI enorm profitiert. Er kommt mit dem ABI sehr gut zurecht, und er instruiert und informiert die ganze NF-2 Patientengruppe in NZ.

Durch Glens lange Ertaubung ist es aber sehr schwer, irgendein Ergebnis vorherzusagen. Eigentlich stehen seine Karten schlecht. Er wollte die OP aber unbedingt haben, um diese Chance zu nutzen, er hätte sich sonst immer Vorwürfe gemacht. Nach langer Vorbereitung, Diskussion und Überlegung hat er zusammen mit Dr. Neeff dann die definitive Entscheidung getroffen. Es darf mit dem gesunden Kleinhirn und Hirnstamm auf der linken Seite nichts passieren, das wäre bei dem Schaden, den er schon rechts hat, fatal. Glens Koordination - das Gehen und auch die Funktion der Arme und Hände - wären stark beeinträchtigt. Die Kollegen wollten zwar die geschädigte rechte Seite implantieren, wovon ich aber abgeraten habe, da hier kaum ein Resultat zu erwarten war, und auch Gewebe fehlte, um die Sonde zu fixieren.

Die Präparation war sehr schwierig, wegen der Vernarbungen und der vorigen Operation. Das Neuseeland-Team hat aber sehr gut zusammengearbeitet, HNO und NCH Hand in Hand, so wie es sein soll. Der Neurochirurg Dr. Heppner hat den Implantationsort freigelegt, ich habe assistiert und die Richtung gewiesen, aber Heppner ist schon sehr gut und wird das bald alleine schaffen. Dr. Neeff hat dann das Implantat gesetzt. Es gab aber keine Resultate, oder nur sehr zweifelhafte, zumindest anfangs.

Ich habe dann kurz übernommen, den Rezessus lateralis noch etwas frei präpariert, und die Sonde neu platziert. Dann war alles gut. Es gab tolle Ableitungen, die wir nach so langer Ertaubung nicht erwartet hatten. Neeff hat dann nach der Vorgabe die eigentliche Stimulationssonde implantiert, und auch damit wurden sehr schöne Antworten bei elektrischer Stimulation abgeleitet. Die Chancen auf einen Wiedergewinn des Hörens sind damit „nicht schlecht“ bis „sehr gut“. Aber es bleibt abzuwarten, welche Hörwahrnehmungen der Patient aus den elektrischen Stimulationen tatsächlich generieren wird. Doch die Basis ist gelegt.  Das war ein tolles Gefühl für das ganze Team!

Heute Früh, vor der OP, haben wir noch die anderen Patienten visitiert. Beiden Kindern geht es sehr gut. Sie spielen, sehen fern, essen und trinken normal und die Eltern sind happy. Die Wundkontrolle heute Nachmittag war ebenfalls okay. 

Gretchen hatte heute früh mit etwas Übelkeit zu kämpfen, am Nachmittag geht es aber schon besser. Sie ist so glücklich, dass alles geklappt hat und kann die erste Anpassung kaum erwarten. Sie bedankt sich so oft, dass ein internationales Team ihr versucht zu helfen. Sie meinte, so ganz begriffen habe sie das noch nicht. We cross fingers for first fitting!

Phil, der am Mittwoch operiert wurde, ist gut wach geworden, sein neurologischer Zustand ist unverändert und sein postop CT sieht gut aus.

Phil sagte heute mit seiner leisen, fast sanften Stimme, die wegen der langen Taubheit schon leicht undeutlich wirkt, dass er immer daran geglaubt hat, dass es funktionieren würde. Er hatte lange überlegt, da er ja schon so viel verloren hatte, ob er das Risiko eingehen sollte, womöglich noch mehr zu verlieren, ohne Gewissheit zu haben, etwas zu bekommen, also wieder etwas zu hören. Die Liste der möglichen Risiken ist ja nicht kurz, und man muss sich schon gut überlegen, ob man noch mehr in die Waagschale wirft für ein unsicheres Ergebnis. Und noch dazu kommt da ein Arzt, den man vorher noch nie gesehen hat, und den man nur vom Hörensagen kennt. Also ich halte das für ein hohes Maß an Tapferkeit und Mut und erlebe den Vertrauensvorschuss, den Phil uns gegeben hat, als ein ungeheures Geschenk. Da kann man nur demütig werden und sein Bestes geben. Wir alle hoffen, dass Phil sein Hören wieder zurückbekommt zumindest partiell.

Gegen 15 Uhr waren wir heute fertig und sind nach der Visite kurz in die Stadt, um ein paar Geschenke für die Familie zu besorgen.

Morgen, am Freitag den 9. März, kommt Marama, 21 Jahre, als sechste Patientin in dieser Woche zur OP. Wir haben heute noch mal mit ihr gesprochen. Sie ist gut vorbereitet und hatte auch vor Jahren schon über die NF-2 Gruppe vom ABI gehört. Dr. Neeff hat sie dann weiter fachlich aufgeklärt und alle Möglichkeiten und die zu erwartenden Resultate durchgesprochen. Es wird ein relativ großer Tumor zu entfernen sein, und dann kommt die Implantation des ABI.

Das Team hier ist schon seit Jahren zusammengewachsen und hat in dieser Woche ganz unterschiedliche Probleme gesehen und gelöst. Ich hoffe, morgen klappt es auch gut. Es ist schon fast unheimlich, dass bislang alle Implantationen sehr gute intraop Resultate lieferten.

Natürlich wollen alle, die nicht im engen Team sind, wissen, von wo ich komme, und warum ich hier bin. Ich erzähle dann von unserem Klinikum in Fulda, wo Fulda liegt, wie groß es ist, was man dort alles machen kann. Ich habe ein paar Bilder dabei, die ich herumzeige, vom Klinikum, dem Dom der Wasserkuppe.

Aber auch ich bin froh, wenn ich wieder daheim bin.

Viele Grüße

Prof. Dr. Robert Behr

Eine schwierige OP

Freitag, 9. März. Heute schreibe ich direkt aus dem OP. Es ist jetzt 15:40 Uhr Ortszeit. Wir sind wie üblich um 7.15 Uhr zur Klinik gefahren und haben alle Patienten visitiert. Es geht allen sehr gut. Glen von gestern war noch etwas müde, aber er hatte keine weiteren Ausfälle als die, die schon vorher bestanden. Besonders die Funktion der Mimik auf der linken Seite war völlig normal, das war ja etwas seine Sorge, da er auf der rechten Seite schon eine Lähmung hat. Sein CT von heute war auch völlig normal mit korrekter Lage der Sonde.

Wir sind dann wie jeden Morgen zum Briefing. Im OP wird mit allen Teammitgliedern besprochen, was gemacht werden soll und wie. Jeder muss sich erneut vorstellen und seine Aufgabe schildern.

Marama, die heute operiert wird, ist schon im OP-Saal und wird von den Anästhesisten vorbereitet. Das dauert hier etwas länger, als ich es von uns zuhause gewohnt bin.

Der Plan ist, dass die Kollegen aus Neuseeland, der Neurochirurg und der HNO Chirurg, die OP beginnen. Ich schaue mir über die Monitore - es gibt große Flachbildschirme - alles an und kann bei Bedarf einen Kommentar oder Rat geben. Die Kollegen hier sind aber erfahrene Akustikusneurinom Chirugen und kommen gut voran.

Allerdings sind sie über einen sogenannten translabyrintären Zugang vorgegangen, der in aller Regel etwas mehr Zeit benötigt. Die OP zieht sich also etwas hin, zumal der Tumor von Marama sehr groß ist und weit nach oben gewachsen mit vielen Knollen am Rande. Also wirklich sehr schwierig. Die Präparation des N. fazialis, des Gesichtsnerven, stellt sich auch als sehr diffizil heraus. Es ist aktuell noch gar nicht klar, ob es gelingen wird, den Nerven zu erhalten, oder gegebenenfalls auch etwas Tumor zurückzulassen. Das werden wir gleich sehen. Ich bin etwas skeptisch wegen des Nervenerhalts, es sieht aktuell nicht so gut aus, weil die Stimulation sehr inkonsistent ist.

Mittlerweile ist es 18.45 Ortszeit. Die Kollegen haben den Tumor zwischenzeitlich entfernt, ein kleiner Teil im oberen Bereich - am Tentoriumschlitz -  ist aber verblieben. Leider kam es tatsächlich so, dass der Fazialisnerv nicht erhalten wurde. Marama wird also eine erhebliche Gesichtslähmung haben. Man wird sich über eine Nervenumsetzungs-OP unterhalten müssen, um wieder eine Funktion in das Gesicht zu bekommen. Dies hat aber auch keine vollständige Erholung zur Folge, leider.

Mit Dr. Neeff zusammen habe ich dann den Hörnervenkern freigelegt. Das war ebenfalls sehr schwierig, weil sehr verwachsen. Zudem war der Hirnstamm durch die Vor-OP und den Tumor von heute verschoben. Dadurch sah die Anatomie anders aus als üblich. Es gelang aber letztlich, die Stelle des Hörnervenkerns freizulegen und die Probeelektrode einzulegen. Das hat wieder Dr. Neeff gemacht, um Erfahrung zu sammeln. Nach einigen Umsetzungen gelang es dann, gute Potentialantworten abzuleiten, wenn auch mit höherer Stimulationsstärke. Das ist manchmal nach schwierigen Tumoroperationen so. Nach langen Messungen, Umsetzungen und erneuten Messungen waren wir dann am Ziel und hatten ein gutes Ergebnis. Nicht so toll wie die vorangegangen OPs, aber durchaus gut. Es steht zu erwarten, dass Marama ein Hörvermögen bekommen wird. Wie gut es werden wird, steht leider jetzt noch in den Sternen.

Der OP-Zugang wird jetzt wieder verschlossen, die harte Hirnhaut vernäht und dann erfolgt der Verschluss der äußeren Schichten, Unterhaut und Haut.

Nach etwa zehn Stunden OP-Zeit sind wir alle etwas ausgelaugt, der Zeitunterschied kommt noch dazu. Wir haben uns jetzt was Nettes zu essen verdient.

Ich bin nach dieser Woche sicher, dass das Team hier vor Ort alle Voraussetzungen mitbringt, diese Methode fortzusetzen und weiter zu etablieren, zum Wohl hoffentlich noch vieler zufriedener Patienten. Wir werden die ersten Ergebnisse nach den Anpassungen per Mail zugeleitet bekommen und natürlich berichten. Hoffentlich läuft es bei allen Patienten gut.

Die beiden Kinder gehen heute schon in einen angeschlossenen Kinderhort zusammen mit den Eltern, das Ronald MacDonald Haus, und dann am Montag nach Hause. Die Erwachsenen werden im Laufe der kommenden Woche entlassen, je nachdem wie es ihnen geht.

Wir werden morgen Mittag, am Samstag den 10. März, Richtung Bangkok aufbrechen und am Sonntag wieder zuhause sein.

Gute Nachrichten aus Neuseeland

Es ist der 5. April 7 Uhr morgens, ein „Bing“ verrät die Ankunft einer neuen SMS, und ich lese beim aus dem Hausgehen die Nachricht aus Neuseeland von Michel Neeff: „Phil, the blind chap, had at least 7 auditory electrodes, likely 3-4 more and Glen had 11!! Processors will be placed next week. Kid’s switch on is in Christchurch tomorrow. Gretchen and Marama in 3 weeks. Gretchen is an inpatient after CSF leak and meningitis but is doing fine now“.

Ich antworte sofort: „Hello Michel, this is the best news ever since a couple of weeks....“

Vier Wochen sind vergangen, dass ich in Neuseeland Kollegen bei der Implantation von ABI bei sechs Patienten angeleitet und begleitet habe. Ich freue mich sehr über diese Entwicklung, die sich seither vollzogen hat. Phil, der ja blind und gelähmt ist, hat mit sieben aktiven Elektroden und vielleicht sogar noch ein paar mehr allerbeste Chancen wieder hören zu können. Das wäre für ihn ein riesiger Gewinn an Lebensqualität. Ebenso für Glen, der sogar elf von zwölf möglichen Elektroden aktiv hat. Auch das ist ein sehr gutes Ergebnis und lässt auf ein gutes Hörvermögen hoffen. Natürlich werden beide noch einen intensiven Rehabilitationsprozess durchlaufen müssen, aber die Ausgangsbedingungen sind sehr erfreulich und positiv.

Leider hat Gretchen eine Nervenwasserfistel entwickelt, eine nicht ganz seltene Komplikation. Zum Glück haben die Ärzte in Neuseeland die Situation im Griff und Gretchen hat sich schon wieder gut erholt.

Einen Tag später, am 6. April, kam die Nachricht von der Erstaktivierung der beiden Kinder. Mein Sorgenkind, Niamh, bei der wir ja eine Revisionsoperation durchgeführt hatten, hat sehr zu meiner Freude und auch zu der aller anderen fünf sehr gute Elektroden mit großen Stimulationsantworten. Das Ergebnis für drei weitere Elektroden ist noch fraglich. Man wird die Einschaltung des Prozessors und ihre Reaktion darauf abwarten müssen. Aber mit auch mit fünf Elektroden haben viele Patienten schon sehr gute Resultate erzielt. Das Ergebnis von Maraia ist auch wirklich sehr gut. Neun Elektroden mit sehr guten Antworten ist ein tolles Ergebnis!

Also mit den ersten Resultaten kann man wirklich äußerst zufrieden sein. 67 Prozent aller implantierten Elektroden haben eine sehr gute Reizantwort und bei acht Elektroden können noch positive Ergebnisse eintreten, das wäre dann eine Gesamtrate von 83 Prozent.

Trotz bester Resultate: abwarten und hoffen

Ich bin natürlich sehr gespannt wie die Resultate der anderen beiden Patienten sein werden. Ich erwarte aber nicht so gute Ergebnisse wegen der gesamten Vorgeschichte. Marama hatte einen großen Tumor und auch eine lange OP. Bei Gretchen traten entzündliche Komplikation auf. Da weiß man nie, wie es sich entwickelt. Wir müssen noch abwarten und hoffen.

Wie bei Tabea Seidel und Sandro Fuchs. Von Tabea kamen ja unterdessen gute Nachrichten aus Rostock, wo jenes Mädchen am Uniklinikum weiterbetreut wird, dem ich im November 2017 im Klinikum Fulda ein ABI implantiert hatte. Viele Informationen in Tabeas Tagebuch deuten darauf hin, dass Tabea Höreindrücke wahrnimmt. Und bei Sandro Fuchs, der am 1. Februar 2018 in Fulda sein ABI erhielt, wird bald schon am Kantonshospital in Luzern der Prozessor angelegt. Auch ihm wünsche ich den Erfolg, nach dem er sich sehnt.

Wenn Sie mehr über das Thema wissen wollen, folgen Sie bitte diesem Link: https://www.klinikum-fulda.de/ohne-deine-hilfe-haette-keiner-dieser-patienten-die-chance-jemals-wieder-zu-hoeren/