Claus Peter Müller
von der Grün

Künstliche Intelligenz!

Wie wollen wir sie nutzen? Diese Frage habe ich am Podium für Pro Nordhessen mit dem Physiker und Hirnforscher Prof. Dr. Christoph von der Malsburg, Oliver Bracht (eoda GmbH), Dr. Dirk Czesnik (Uni Göttingen), Prof. Dr. Klaus David (Uni Kassel) und Lukas Gehner (von übermorgen) diskutiert.

Foto: Stefanie Richter

Am besten selbstbestimmt, lautete die Antwort. Die „Wirtschaft Nordhessen“ widmete dem „Herbstevent“ von Pro Nordhessen eine Doppelseite in dem gleichnamigen Magazin (Januar 2020). Dort finden Sie den gesamten Beitrag von Stefanie Richter auf den Seiten 38/39:

Beim Herbstevent des Vereins Pro Nordhessen diskutierten Fachleute aus Wirtschaft und Wissenschaft über die Vor- und Nachteile von KI – und darüber, was sich nicht ohne Weiteres programmieren lässt. Mit einem offenen Blick haben sich Vertreter der Wirtschaft und der Wissenschaft beim Herbstevent des Vereins Pro Nordhessen über Künstliche Intelligenz (KI) ausgetauscht – und darüber, ob und wie sie neue Chancen für die Region bietet. Dabei standen vor allem die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der KI im Fokus, aber auch die Ängste einzelner Menschen vor der neuen Technologie samt möglicher Auswirkungen.

Der Vorstandsvorsitzende von Pro Nordhessen, Dr. Jürgen Spalckhaver, stellte in seiner Begrüßung klar: „Aktuell wird die KI noch von jedem Kleinkind in den Schatten gestellt.“ Ein solches könnte bereits im Alter von drei Jahren seine Umgebung erkennen, darstellen, darin agieren und darüber sprechen – kein Vergleich zur Künstlichen Intelligenz, die erst aufwendig mit Datenmengen gefüttert werden müsse.

Diese These griff Prof. Dr. Christoph von der Malsburg auf. Der Physiker, Hirnforscher und Spezialist für neuronale Netze skizzierte, was KI heute und in Zukunft leisten könne. „Um einen Hund zu erkennen, muss das System gegenwärtig alle Hunde dieser Welt gespeichert haben“, veran- schaulichte er das komplexe Thema, welches die Menschheit bereits vor 60 Jahren beschäftigt hat. Und: „Ein Mensch erkennt jeden Hund. Auch wenn er bisher nur einen gesehen hat.“

So verhalte es sich vergleichsweise auch beim autonomen Fahren. Die KI erkennt nur, was eindeutig ist. Verkehrssituationen, die anders ablaufen als das System bisher erlernt hat, werden so zur Gefahr. „KI ahmt nur nach“, erklärt von der Malsburg. „Tauchen im Winter plötzlich verschneite Autos im abzuscannenden Bereich der Assistenzsysteme auf, werden diese möglicherweise nicht erkannt und es kann zum Unfall kommen.“ Bei echter Intelligenz spielen Witterungssituationen keine so große Rolle. Das menschliche Gehirn stellt sich auf die individuellen Situationen in Sekundenschnelle ein.

Funktioniert das System einmal nicht wie von ihm erwartet, spricht man in der Wissenschaft und Forschung von „Corner Cases“. Sie zeigen die derzeitige Anwendungsbeschränkung auf. Außerdem sei jegliche Umsetzung in Bezug auf Künstliche Intelligenz aktuell noch äußerst kostspielig, ergänzte der Fachmann.

An vielen Stellen funktioniere KI bereits trotz- dem sehr gut. „Denken wir an die Hilfe der Verkehrsleitsysteme“, sagte der Professor für Informatik, Neurowissenschaften und Physik. „Sie übermitteln schon heute die Dichte des Verkehrsaufkommens an neuere Fahrzeugmodelle, kön- nen uns in Situationen mit Termindruck behilf- lich sein und beispielsweise eine Umfahrung einleiten, bevor wir in den Stau geraten.“

Diese Punkte anführend gab der Physiker und Hirnforscher die entscheidende Frage an die über 200 Gäste des Herbstevents weiter: „Was wollen wir?“ Die Menschheit müsse sich beim Umgang mit KI klar darüber sein, ob sie wirklich jeden Handlungs- und Arbeitsschritt durch ein System ersetzen lassen wolle. „Das kann zu Sinnesleere und Arbeitslosigkeit führen“, gab er zu bedenken. „Und hat große Auswirkungen auf den gesamten Stil unseres Lebens.“

Darüber diskutierten im Anschluss Lukas Gehner (B.L.&P. Content und Media GmbH / von übermorgen) und Oliver Bracht (eoda GmbH) mit Prof. Dr. Klaus David von der Universität Kassel und Dr. med. Dirk Czesnik von der Klinik und Rehazentrum Lippoldsberg GmbH, moderiert von Claus-Peter Müller von der Grün. „Das System kann, richtig eingesetzt, dabei helfen, den Alltag besser zu bewältigen, ihn sicherer zu machen und auch ein Stück komfortabler“, sagte Klaus David. „Ich sehe im Bereich der KI viele wichtige Teilmengen, die es zu erforschen lohnt.“ Beson- ders in der Medizintechnik könnten Assistenzsys- teme bei der Rehabilitation helfen oder eine fal- sche Medikamentengabe verhindern, indem Pati- entenakten weltweit abrufbar würden.

Auch aus den sogenannten Health-Watches ließe sich in Zukunft etwas Nützliches ziehen. „Die aufgezeichneten Daten der kleinen Pulsmesser am Handgelenk, die heute beinah jeder besitzt, könnten auch genutzt werden, um Herzrhythmusstörungen und Vorboten von Schlaganfällen früher zu erkennen“, schilderte Dirk Czesnik. Implantierte Mikrochips, die die Vitaldaten der Träger aufzeichneten, seien zwar ein Thema in der Forschung, hinterlassen bei den meisten Menschen aber nach wie vor ein beängstigendes Gefühl.

Am Ende all dieser Datenmengen und Automatismen stünde aber noch immer der Mensch, der sie lesen und deuten müsse. „Interpretation und Intuition sind menschlich“, stellte Czesnik heraus. „Diese emotionalen Komponenten sind nicht nachprogrammierbar.“ Die Menschlichkeit allgemein, darüber waren sich die Gesprächspartner einig, dürfe nie verloren gehen.

„Genau wie die Selbstbestimmung“, sagte Lukas Gehner. „Die damit beginnt, sich beispielsweise mit den Möglichkeiten und Einstellungsoptionen von Smartphones genau auseinanderzusetzen.“ So könnte sich jeder Anwender sicher sein, seine Privatsphäre zu wahren. Dies mache die Angst überflüssig, dass die KI allzu schnell alle Bereiche des Lebens übernehme.

Dem konnte Hirnforscher Christoph von der Malsburg nur zustimmen. Er sprach sich deutlich dafür aus, den Zugang zum nicht endenden Strom von Informationen auch mal zu kappen und die häufig als Belastung empfundene Langeweile einmal auszuhalten: „Dieser Zustand ist immens wichtig für unser Gehirn, das in solchen Momenten Zeit zur Verarbeitung von Erlebtem hat.“ Das gelte besonders für Kinder, die, wie Forschungen ergaben, Schwierigkeiten in der Sprachbildung bekommen können, wenn sich ihre Aufmerksamkeit allzu oft auf digitale Medien richte. „Wir sollten bei all dem versuchen, nicht über das Ziel hinaus zu schießen“, so von der Malsburg abschließend. „Sonst fehlt es schnell am Sinn des Lebens.“ Stefanie Richter
Ihr IHK Service
Wirtschaft Nordhessen · Ausgabe 01/2020

Pro Nordhessen berichtet unter diesem Link über die Veranstaltung: http://www.regionnordhessen.de/aktuelles/news/news-details/tx_news/kuenstliche-intelligenz-bietet-der-region-neue-chancen/

https://www.youtube.com/watch?v=_GbVpW1kxp4&feature=youtu.be