Claus Peter Müller
von der Grün

Klinikum für die Zukunft

Krankenhäuser werden schon lange nicht mehr für 100 Jahre gebaut. Sie müssen die ideale architektonische Hülle für die Diagnostik und Therapie über ein oder zwei Dekaden bilden. Das Klinikum Fulda hat mit einem Neubau im laufenden Betrieb gezeigt, wie das geht.

In nur 31 Monaten Bauzeit und damit schneller als geplant entstand das neue INO-Zentrum (Intensiv-Notfall-Operation-Zentrum) am Klinikum Fulda mit mehr als 37.000 Quadratmeter Fläche auf acht Etagen, das am 14. Mai 2019 von Hessens Ministerpräsident Bouffier offiziell eröffnet wurde. Mit seinen gut 1100 Betten ist das Klinikum Fulda eines der größten kommunalen Krankenhäuser in Hessen und als Campus Fulda Teil der Universitätsmedizin Marburg. Das kalkulierte Investitionsvolumen für den Neubau wurde mit 70 Millionen Euro nicht nur eingehalten, sondern es wurde dank einer intelligenten Weiterentwicklung der Planung während der Bauphase deutlich mehr Raum geschaffen, als es anderen Klinikbetreibern bei einer vergleichbaren Investitionssumme gelingt.

Das Klinikum schuf damit die Voraussetzung für eine Medizin der Maximalversorgung, eine alternde Gesellschaft, deren Angehörige künftig an mehr und anderen Krankheiten leiden werden, in den kommenden zwanzig Jahren zu versorgen. Doch moderne Architektur, Technik und Strukturen sind nur die Grundlage guter Medizin. Angewandt wird sie von Menschen, die anderen kompetent, professionell und mit intrinsischer Motivation helfen. Das Klinikum Fulda nahm die Eröffnung des INO-Zentrums zum Anlass, die komplexen Leistungen eines großen Krankenhauses in den Geschichten von und über Menschen, die dort arbeiten, anschaulich werden zu lassen. Ich führte Gespräche mit Ärzten und Ärztinnen, Krankenschwestern und Pflegern, Logistikern und Technikern und schrieb ihre Geschichten auf. Die Beiträge geben tiefen Einblick in die vielfältigen Anforderungen an die Mitarbeiter eines Krankenhaus und in deren umfassende Kompetenz, die vielen Außenstehenden unbekannt sein dürfte. Das Klinikum Fulda veröffentliche die Beiträge in einem Buch unter dem Titel „Bereit für die Zukunft“, aus dem ich den Beitrag über Daniela Möller zitiere:

Dankbarkeit und harte Arbeit

Daniela Möller kennt die Vorurteile, mit der Außenstehende über die Intensivmedizin sprechen: „Auf einer Intensivstation liegen nicht nur schlafende, tief sedierte Patienten, sondern auch die wachen, aktiven Patienten. In der Akutphase nach der Aufnahme, während der ersten Diagnostik und der stabilisierenden Therapie ist es für die Patienten am besten, wenn sie schlafen. Wenn ihre Lage stabiler wird, heißt es nicht, dass der Patient weiter schlafen muss. Nach der Akut- kommt die Stabilisierungs- und schließlich die Reha-Phase.   Diese Phasen verlaufen ganz individuell. Meist liegen die Patienten nach einer Operation ein  bis fünf Tage auf der Intensivstation. Aber wir haben auch Langlieger, diese verweilen Vier-Wochen-Plus.“

„Einen Patienten in der Akutphase kennenzulernen auf der Intensivstation“, das ist für die Leiterin des Pflegeteams auf der anästhesiologisch-chirurgischen Intensivstation des Klinikums Fulda „wie ein Buch zu lesen“. Es erfordere Nähe zum Patienten aber auch zu dessen  Angehörigen, die einem von dem Patienten erzählen, und Empathie in der Ganzheitlichkeit der Pflege dieses einen Menschen: „ Wir müssen es zulassen, dass wir uns kennenlernen. Das hat mit vielen Emotionen zu tun, und es ist schön zu erleben, wie wir uns aneinander gewöhnen. Und plötzlich erwacht das „Buch“, wenn der Patient am Übergang von der Akut- zur Stabilisierungsphase die Augen öffnet. Ist das wirklich die Person, die mir die Angehörigen geschildert haben? Wir kommunizieren in dieser Zeit noch ganz viel nonverbal. Dann der Moment, in dem ich die Stimme kennenlerne, und dann Schritt für Schritt die ganze Person mit ihren Bedürfnissen. Und wenn der Patient schließlich ganz wach ist, bekommt man so viel Dankbarkeit zurück. Diese Dankbarkeit macht es wert, die harte Arbeit zu verrichten und die große Verantwortung zu tragen. Dankbarkeit, die wir in Briefen spüren und in persönlichen Besuchen. Viele  Patienten kommen eines Tages zurück auf die Station, um uns zu besuchen. Sie haben nicht mehr den ganzen Aufenthalt bei uns in Erinnerung, wollen verstehen, was sie damals gesehen und erlebt haben. Andere senden uns über Jahre hinweg kleine Geschenke, schreiben uns: ,Ich kann alle Jahre wieder Weihnachten feiern, weil wir als Team gut zusammengearbeitet haben.‘ Wir sind wirklich alle ein Team auf der Intensivstation: Die Pflegenden, die Ärzte, die Patienten und die Angehörigen. Von allen Berufsgruppen sind wir als Pflegende am nächsten am Patienten dran, und wir werden gehört in der gemeinschaftlichen Visite, unser Rat wird von den Ärzten gerne angenommen.“

Daniela Möller findet Erfüllung in ihrem Beruf. Sie bringt sich ein. In der Konzeptions- und Planungsphase, die der Einrichtung des neuen INO-Zentrums vorausging, hat sie das ideale Intensiv-Zimmer als Muster mit geplant und die Sicht der Pflegenden in die Prozesse eingebracht. Das ist wichtig. Medizin insbesondere auf der Intensivstation ist heute Teamarbeit, vor allem auch unter den Berufsgruppen.

Das Klinikum gehört für Daniela Möller vom ersten Tag an zu ihrem Leben. Sie wurde dort 1980 geboren, wuchs in Sichtweite in Künzell auf und hatte schon früh die Gelegenheit das Klinikum als kleine Patientin kennenzulernen, ob nach dem Sturz mit dem Fahrrad samt Gehirnerschütterung oder einer Handverletzung .

Sie absolvierte ihr Schulpraktikum im Klinikum, denn sie wollte schon immer einen Beruf mit Kontakt zu Menschen. Das Praktikum war eine „Riesenerfahrung“ für sie, die Begegnung mit kranken Menschen, die Hilfe brauchten,  war eine völlig neue Aufgabe und große Herausforderung. ... Dennoch, am Ende des Praktikums stand für sie fest: „Es hat mich erfüllt, Gutes zu tun.“

Zum Ende der Schulzeit rieten die Eltern von vier Kindern ihrer Tochter: „Mach erstmal eine Ausbildung. Lerne was Solides.“ Im Jahr 2000 schloss Daniela Möller ihre dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester mit dem Staatsexamen ab. Gleich im Anschluss ging sie auf die Intensivstation, qualifizierte sich neben dem Beruf mit der Fachweiterbildung zur Intensivschwester und empfand die Ausbildung wie ein „kleines“ Studium: „Das hat mich befriedigt, diese erneute Herausforderung  hatte ich gesucht.“ 2010 wurde sie stellvertretende Leiterin der chirurgischen Intensivstation und 2012 Stationsleitung: „Was ich gemacht habe, habe ich schon immer gerne richtig gemacht!“

„Auch nach 20 Jahren Berufserfahrung ist jeder Tag – trotz der gewachsenen Sicherheit und Fachkompetenz – eine neue Herausforderung“, sagt Daniela Möller: „Wir haben achtzehn Intensivbetten. Es sind alles Beatmungsplätze und apparativ voll ausgestattet.“

Vom Beatmungsgerät, einem Dutzend Infusionspumpen und Perfusoren, die unterschiedliche Medikamente kontrolliert verabreichen, über die zahlreichen Kabel für die Überwachung der Herz-und Kreislauf-Funktion bis hin zur kontinuierlichen Messung des Hirndruckes sowie zum Dialysegerät, das bei Bedarf ans Bett gefahren wird: Intensivmedizin ist auch technisch anspruchsvoll. „Wir kennen nicht nur jedes der meist hochkomplexen Geräte, sondern wir können es bedienen, wir müssen Fehler beheben und kleine Reparaturen durchführen können. Als Krankenschwester bin ich eben auch ein bisschen IT-Fachfrau und Mechatronikerin. Ganz selbstverständlich“, sagt Daniela Möller.

Meist betreut eine Fachkraft bis zu drei Patienten, und, wenn es der Zustand des Patienten erfordert, beträgt der Schlüssel 1 zu 1. „Es kann jederzeit brenzlig werden, dafür sind wir ausgebildet und geschult. Am besten wir tun im Vorfeld alles, um rechtzeitig zu intervenieren, wenn wir erkennen, dass es in die falsche Richtung geht“, sagt Daniela Möller: „Alle unsere Maßnahmen sind darauf ausgelegt, rechtzeitig zu handeln, um Akutsituationen wie Kreislaufinstabilitäten oder eine drohende Hirndruckproblematik aufzufangen. Dafür wird der Patient durch das Monitoring intensiv überwacht. Aber nur, wenn wir uns dem Patienten immer wieder zuwenden, wird die Überwachung gut. Die Messwerte müssen permanent hinterfragt und bewertet werden: Steht der Messwert für eine sinnvolle Aussage? Ist eine Sonde defekt oder verrutscht? Oder hat sich der Patient ein Messgerät aus Versehen abgezogen?“

„Wir können heute immer schwerere Erkrankungen behandeln“, berichtet Daniela Möller: „Immer wieder besprechen wir auch  Patientenverfügungen. Diese Situationen sind schon sehr speziell. Es ist richtig und wichtig, dass man sich darüber Gedanken macht. Aber meist liegen die Verfügungen bei uns zu spät vor, und die meisten Menschen können sich von der Intensivstation und von dem, was wir hier bewirken, keine realistische Vorstellung machen.“

2015 wurde Daniela Möller Mutter. Sie ist dankbar, dass ihr und ihrem Kind damals mit dem Klinikum Fulda ein Haus der Maximalversorgung zur Verfügung stand, „und es war extrem lehrreich, das Klinikum  von der anderen Seite, von der des Angehörigen, kennenzulernen.“

Von Claus Peter Müller v. d. Grün