Die Implementation von KI ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine soziale und politische Herausforderung. Davon ist Anna Kopp, Director Microsoft Digital bei Microsoft Deutschland, überzeugt. Ich habe ein Interview mit ihr geführt.
Das gesamte Interview lesen Sie hier oder im Science Park Magazin:
https://sciencepark-kassel.de/frontend/actions/media-download/79fbafc634d36cc4b691c789490304d2/0/0/1
Frau Kopp, KI ist zu einem Buzzword geworden. Kam das Thema denn ganz plötzlich und unerwartet über uns?
Mit ChatGPT wurde KI mit einem Mal für die breite Bevölkerung sichtbar und nutzbar. Aber wenn wir von KI sprechen, dann sprechen wir über Algorithmen, wie wir sie schon seit Dekaden nutzen. Die Automatismen haben schon vor Jahren Einzug gehalten in unseren Alltag etwa in Form der Autokorrektur beim Schreiben am PC oder im Smartfon.
Aber dennoch geht davon mit einem Mal eine Faszination aus. Was hat Ihr persönliches Interesse an KI geweckt?
Ich finde es faszinierend, wenn eine Technologie Vieles für viele Menschen einfacher und Vieles für manche Menschen überhaupt erst möglich macht. Genau das ist bei KI der Fall. Wir bei Microsoft machen uns zum Beispiel Gedanken darüber, wie Menschen mit einer Behinderung, die gar nicht oder nur sehr eingeschränkt sehen oder hören können, dennoch mit anderen Menschen kommunizieren können. So haben wir Teams mit Hilfe von KI weiterentwickelt, damit auch Menschen mit bestimmten Einschränkungen damit telefonieren können.
Was treibt Sie an, die KI weiter zu entwickeln und im Alltag einzusetzen?
Ich will das Leben einfacher machen. Auch das Arbeitsleben, denn wir arbeiten, um zu leben, und wir leben nicht, um zu arbeiten. Schauen Sie, was in der Pandemie mit unserem Arbeitsalltag geschehen ist. Wir haben die Zeit für die An- und Abreise zu Terminen gestrichen. Weil wir online und häufig im Homeoffice arbeiten, arbeiten wir alle viel länger und viel mehr. Unsere to-do-Listen werden immer länger, und wir denken jeden Abend darüber nach, was wir jetzt noch alles erledigen könnten. Hier kann uns die Automatisierung, und nichts anderes ist KI, helfen, die Aufgaben einfach wegzuarbeiten.
...damit wir mehr Zeit haben, am anderen Ende des Schreibtischs noch mehr neue und zusätzliche Aufgaben zu übernehmen?
Ja, wie wollen immer schneller, höher und weiter kommen. Aber das ist ein anderes Thema. Wir achten bei Microsoft darauf, dass wir nicht nur neue Aufgaben draufpacken, sondern dass wir die Ziele anders allokieren, wenn neue Aufgaben hinzukommen – vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels. Gute Leute sind wie Geld auf dem Konto. Beides wollen wir nicht verlieren.
Wohin entwickelt sich die KI in den kommenden fünf bis zehn Jahren?
Technologisch sind wir gerade in der Phase des Feintunings. Nach dem großen Hype, alle Themen mit KI bearbeiten zu wollen, fangen die Menschen tatsächlich an, mit KI zu arbeiten. Sie entdecken, was nicht geht, was grundlegend verbessert und was verfeinert werden muss. Ich denke, wir werden für bestimmte Aufgaben eher kleinere als noch größere Datenmengen einsetzen. Als Menschen wiederum, müsse wir lernen, mit KI zu arbeiten. Man fragt die KI etwas, aber was als Antwort herauskommt, ist nicht immer befriedigend. Ich habe zum Beispiel Office gefragt, welche meiner Aufgaben noch offen sind. Heraus kamen alle nicht erledigten Anfragen der vergangenen zehn Jahre. Das wollte ich gar nicht wissen. Ich hätte präziser fragen müssen: Was habe ich heute noch zu tun? Wir müssen also unser Prompten spezifizieren, denn KI tut, was ich ihr sage, nicht was ich gedacht habe. KI kann nicht zwischen den Zeilen lesen! Das ist es.
Welche Chancen erwachsen mit der KI für Start-ups aber auch für Gründerinnen und Gründer?
Es gibt so viele Mikroanwendungen im privaten und beruflichen Alltag, die wir mit KI vereinfachen und im Ergebnis verbessern können. Es ist eine große Chance für Gründer und junge Unternehmen, User-Scenarios zu definieren und darauf die passende KI zu schneiden. Wie kann ich digitale Lösungen für das Smartphone entwickeln, um Bankgeschäfte, Versicherungsangelegenheiten oder Behördengänge zu vereinfachen? Überall, wo Menschen fehlen und wir uns ungezählte Minuten in Warteschleifen von Hot-Line-Nummern drehen, kann KI uns helfen, schneller und besser zum Ziel zu kommen. Darum kostet KI auch keine Arbeitsplätze, sondern sie hilft uns, Zeit zu sparen und die Qualität zu heben.
Kennen Sie ein Start-up, dass mit einer KI-Anwendung alles richtig gemacht hat?
Ja. Nuance ist ein Superbeispiel. Das Unternehmen war schon ein großer Landen, als Microsoft es gekauft hat. Aber es hatte einmal als Startup begonnen. Nuance hat eine KI-Anwendung explizit für Arztpraxen entwickelt, die nicht nur Sprache in Text transkribiert, sondern die Inhalte auch interpretiert. Die KI dokumentiert den Arzt-Besuch eines Patienten, hält Diagnose und Therapie fest, stellt Rezepte aus und unterstützt die Administration in der Praxis. Ganz wichtig ist natürlich: Der Arzt kontrolliert die von der KI erstellte Dokumentation und gibt sie frei. Nuance hat damit eine KI-Anwendung für einen sehr klaren Bedarf geschaffen und eine sehr klare Story geschrieben. Die Idee ist auch in andere Bereiche übertragbar. Diese KI-Anwendung schafft eine messbare Verbesserung: Sie spart Zeit, entlastet den Arzt, steigert die Kundenzufriedenheit und vor allem die Qualität.
Wie können die Hochschulen besser auf die Anforderungen der KI-Branche eingehen?
Oh, da gibt es viel zu tun. Die Hochschulen müssten zu allererst verstehen, was die KI-Technologie überhaupt macht. Die Hochschulen sind häufig weit von den Businessthemen und den Fragen nach der Usibility entfernt. Sie sind weit weg von der Wirklichkeit der Menschen, von ihrem privaten und beruflichen Alltag. Und es dauert zu lang, bis Veränderungen in der Wirklichkeit in den Curricula angekommen sind.
Was können die Hochschulen besser machen im Umgang mit Gründern und Startups?
Mit Institutionen wie dem Science Park und dessen Unternehmen aktiv auf die Firmen in der Region zugehen. Das bedeutet einiges an Arbeit, aber die wird sich lohnen für beide Seiten. Ich habe zum Beispiel an der TU München in einem Bachelor-Studiengang als Dozentin mitgewirkt. Mein Thema war die Einführung von KI in Unternehmen mit Betriebsrat. Herausgekommen ist eine Checkliste für Unternehmen.
Was können die Hochschulen dank KI besser machen?
KI hilft den Studierenden beim Lernen. Mit dem persönlichen KI Assistent Syntea lernen wir in einem anregenden Dialog. KI hilft bei der Recherche wissenschaftlicher Erkenntnisse und ordnet Wissen. Ich würde sagen: Ohne KI kann moderne Wissenschaft gar nicht mehr stattfinden.
Welches wird ein Top-Job in der KI-Branche sein?
Ein Top-Job wird es in Zukunft sein, KI in Unternehmen einzuführen. Da geht es nicht in erster Linie um Technologie, sondern um die Auswahl und das Training der passenden Personen, um Security, Compliance, das Verstehen und Anwenden von Gesetzen sowie schließlich um Verantwortung.
Die eigentliche Aufgabe ist also die soziale und politische Implementation von KI in Gesellschaft, Unternehmen und im gesellschaftlichen sowie politischen Miteinander?
Ja, daran glaube ich fest. Ich glaube KI muss mit dem Menschen im Mittelpunkt eingeführt werden. Das wichtigste ist, die Balance zwischen Offenheit und Neugierde einerseits und gleichzeitig gesunder Skepsis und Regulierung auf der anderen Seite zu finden. Hier, glaube ich, sind wir in Deutschland auch schon auf dem besten Weg. Ich hatte zu genau dem Thema ein Kapitel zu diesem Buch beigetragen:
Human Friendly Automation: Arbeit und Künstliche Intelligenz neu denken : Tobias Kämpf, Barbara Langes, Lars Schatilow: Amazon.de: Bücher Es ist ein Werk von 4 Professoren mit einem Vorwort von Andrea Nahles und gesponsort von der deutschen Rentenversicherung. Die Werte Charta Human Friendly Automation Value Manifesto ist lesenswert!