Claus Peter Müller
von der Grün

Kann man schöpferische Ideen kaufen?

Die Politik wendet sich der Altenpflege zu und sendet auf dem Strategieforum Pflege der Evangelischen Bank in Berlin Botschaften, wie wir sie in der Sozialpolitik lange Zeit nicht gehört haben.

Nehmen Sie sich die Freiheit - und unternehmen Sie etwas!

Die Altenpflege bekommt mehr Geld und braucht zugleich schöpferische Ideen. Aber kann man die kaufen, frage ich mich als Moderator des Forums in meinem Fazit.

„Anerkennung findet die Arbeit der Altenpflege und ihrer Einrichtungen auch in der Politik. Nicht nur, dass Herr Dr. Schölkopf, seit Beginn dieser Legislaturperiode im Jahr 2013 Leiter der Unterabteilung 41 – Pflegesicherung im Bundesministerium für Gesundheit, hier war. Auch seine Botschaften dürften Sie gerne gehört haben.

Die Zahl der Leistungsempfänger stieg von 2011 bis 2015 um 17 Prozent auf 2,7 Millionen Menschen, und die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung stiegen im selben Zeitraum noch stärker, nämlich um 27 Prozent auf 26,6 Milliarden Euro. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung wurde erhöht.

Es ist lange her, dass ich einmal einen Vertreter des Gesundheits- oder Sozialministeriums gehört habe, der steigende Ausgaben und den Ausbau der Leistungen als Erfolg dargelegt hat. Und ich war schon Redakteur im politischen Tagesgeschäft, als Blüm und Dreßler noch die Sozialpolitik in Deutschland prägten.

Eigentlich kennen wir das andersherum. Die Ziele in der Sozialpolitik lauteten häufig Kostendämpfung, Leistungsbegrenzung und Heben von Effizienzreserven durch Marktrationalität.

Freilich freue ich mich, dass unser Land in so guter Verfassung ist, dass es diese zusätzliche Leistung in der Pflege erbringen kann.

Aber die Verantwortung als Chronist des Zeitgeschehens, der seit mehr 30 Jahren die Gesundheits- und Sozialpolitik publizistisch begleitet, weist mir ebenso die Rolle des Mahners zu.

Wir sind ökonomisch in einer ausgesprochenen Schönwetterphase, die eine Schönwetterpolitik erlaubt. Aber das Wetter schlägt auch einmal um. Und die Politik wird nicht von Naturgewalten bestimmt, wie das Wetter, auch wenn es bisweilen so scheint, sondern von Menschen bestimmt. Das macht es nicht besser.

Unser gegenwärtiger Wohlstand, der uns diese umfassende Sozialpolitik erlaubt, ist nicht selbstverständlich, sondern - zumal für den Exportweltmeister Deutschland – eine Folge der Globalisierung, die den Wohlstand auf der ganzen Welt gemehrt hat. Der Wohlstand ist eine Folge offener Märkte – auch in Europa und über den Atlantik hinweg.

Wir haben zudem eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik betrieben, die den Menschen Anreize gesetzt hat, am Arbeitsmarkt teilzunehmen – und mithin Sozialbeiträge zu entrichten.

Dass das so ist, ist nicht selbstverständlich. Überall in der Welt und auch in Deutschland gibt es Menschen, die diese Entwicklung hin zur Offenheit und hin zur Teilhabe vieler am Arbeitsmarkt nicht wertschätzen, die in Protektion und nationales Denken zurückfallen, die all die Regelungen, die Wohlstand und Arbeit brachten, in Frage stellen.

Das jüngste Wahlergebnis in den Niederlanden sollte uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wilders schnitt zwar schlechter ab - als erwartet. Aber auch Ruttes Partei hat verloren. Und nachdem es den Christdemokratischen Appell, der die Politik der Niederlande lange prägte, faktisch nicht mehr gibt, ist nun auch die Sozialdemokratische Partei zur Randerscheinung geworden.

Auch in Deutschland ist das Parteiensystem in Bewegung. Seine Struktur und Vielfalt ähnelt heute mehr dem Zustand in der Weimarer Republik unserer Urgroßeltern und Großeltern als den – stabilen - Verhältnissen der Bundesrepublik unserer Kindertage.

Das Gerüst, auf dem unser ökonomischer Erfolg aufbaut, ist – so gesehen – fragil. Und all die Segnungen der Sozialpolitik gibt es freilich erst, wenn das Geld, das verteilt wird, erwirtschaftet ist.

Was wir heute an Leistungsansprüchen aufbauen, muss auch morgen noch finanziert werden können. Und dies von immer weniger Beitragszahlern bei einer steigenden Zahl an Leitungsnehmern.

Auch wenn das ungemütlich ist, aber ich will an die Wirklichkeit erinnern.

Wir hatten im Jahr 1964 in Deutschland 1,4 Millionen Geburten. Das war das Spitzenjahr. Dann sank die Zahl auf weniger als 700.000. Heute sind es wieder mehr als 700.000. Dennoch: die Zahl hat sich etwa halbiert. Die Babyboomer von 1964 gehen 2031 in den Ruhestand, - wenn es die Politik bei der Rente mit 67 belässt!

Das heißt: Spätestens dann werden ein paar Wolken am noch blauen Himmel aufziehen.

Ich sage das nicht, um Ihnen die Laune zu verderben, sondern weil wir alle wissen, wie schmerzhaft es ist, Strukturen, die wir einmal in besseren Zeiten aufgebaut haben, in anderen Zeiten wieder zu korrigieren.

Das braucht Zeit und Kraft und kostet Tränen.

Ich sehe eine große Herausforderung darin, in einer Zeit, da Milch und Honig fließen, solche Strukturen zu errichten, die auch dann noch funktionieren, wenn das Wasser knapp wird und das Volk in der Wüste nach Manna ruft. (Wir sind ja hier bei der Evangelische Bank. Da darf man biblische Bilder wählen.)

Stellen Sie sich aber nicht nur auf knappere Mittel ein, sondern auch auf Disruptionen und die „schöpferische Kraft“ der Zerstörung, damit Sie damit umgehen können, wenn es soweit ist. Professor Kreidenweis von der Katholischen Universität Eichstätt hat uns aufgezeigt, wie Wertschöpfung heute betrieben wird: Die Anbieter von Fernbusreisen haben keine Busse. Ihre Leistung besteht darin, die Kundenperspektive einzunehmen und auf ihren Plattformen eine Möglichkeit zu schaffen, die Nachfrage dieser Kunden möglichst bequem zu bedienen. Die Kilometer fahren andere, und es fragt sich zu welchen Preisen.

Neue Produkte verleiten zu neuen Anwendungen. Es ist schicker eine Smart Watch zu tragen, als einen Hausnotrufknopf. Und warum wohl sind die Autos der Gattung SUV vor allem bei alten Menschen so beliebt? Das Ein- und Aussteigen fällt dort leichter, ohne dass das Fahrzeug mit dem Makel des Behindertenvehikels gekennzeichnet wäre. Schließlich können Robotik und künstliche Intelligenz auch die Welt der alten und pflegebedürftigen Menschen verändern.

Obzwar der Staat und die Sozialversicherung derzeit die Krippen füllen, ist und bleibt unternehmerisches Denken unverzichtbar, und für Ideen, es besser zu machen, braucht es Freiräume.

Sie selbst könnten es sein, die oder der ein geniales neues Konzept entwickelt und damit reüssiert. Oder der sich für eine Innovation öffnet. Anregungen dafür haben wir heute erhalten.

Oder aber andere kommen mit ihren Konzepten und zerstören Ihre geordnete Welt.

Bitte nennen Sie doch einen einzigen Grund, warum die weltumspannenden Konzerne der Informationstechnik ausgerechnet den größten, vermutlich lukrativsten und weltweit seit Jahren stark wachsenden Markt der Gesundheitswirtschaft nicht in den Blick nehmen sollten.

Und bereitwillig geben viele von uns ihre Daten preis, nehmen zum Beispiel beim Joggen ihr Telefon mit, messen die Strecke, den Puls und das Tempo. Andere aggregieren diese Daten, leiten daraus Algorithmen ab, entwickeln ein Geschäftsmodell und ersetzen ein Geschäftsmodell der anderen, deren Leistung damit am Markt überflüssig wird.

Ich habe als Journalist erlebt, wie die Informationstechnik vom Einzug der ersten Computer an in den 1980er Jahren eine Branche weltweit verändert hat. Und wir in den Medien dachten lange Zeit, wir seien sicher. Häufig aber ist die Party ganz schnell zu Ende, wenn sie gerade am schönsten ist.

Innovationen sind nicht aufzuhalten. Die Maschinenstürmer haben am Ende nichts ausgerichtet. Seien Sie also lieber dabei, wenn sich etwas verändert. Gestalten Sie mit, damit Sie nicht überrumpelt werden.

Auch diese Botschaft nehme zumindest ich mit von diesem Forum.

Offenheit gegenüber Veränderungen und neuen Techniken ist vielleicht auch eine Option, die Berufe in den Alten- und Pflegeheimen noch attraktiver zu machen und in der Außenwahrnehmung attraktiv zu halten.

Wenn auch die Kernaufgaben in Pflege seit jeher dieselben sind, so sollten doch die Methoden, Instrumente und Hilfsmittel, derer man sich bedient, zeitgemäß sein. Wer zu Hause und auf dem Weg zur Arbeit stets das neueste Smartphone nutzt, will doch am Arbeitsplatz nicht in alte Kladden schreiben.

Und hier hat die Altenpflege noch Luft nach oben.

Einen weiteren Punkt möchte ich gerne noch erwähnen: Die Kommunikation

Sie ist wichtig, damit Menschen Vertrauen fassen, vor allem in ungewissen Situationen.

Wenn Sie mit der Bahn reisen, und der Zug hält auf freier Strecke, dann kommt Unwohlsein auf. Dann wollen Sie wissen, was los ist. Eine schlichte Durchsage hilft, die Lage zu entspannen.

Auch wenn Angehörige im Heim sind, kommt häufig Unsicherheit auf.

Wer gibt den Bewohnern, wer gibt den Angehörigen die Antworten auf die gestellten und nicht gestellten Fragen? Wer macht die Durchsage, damit keine Unruhe aufkommt, wo sie nicht berechtigt ist? Wie wertschätzend gehen Kollegen miteinander um? Wie verhalten sich Angehörige gegenüber Ihren Mitarbeitern?

Ich habe – als Sohn alter Eltern – mehrere Häuser auch ein und desselben Trägers kennengelernt. Und da habe ich manches erlebt. Auch Heimbewohner und Angehörige, die anderen das Leben zur Hölle gemacht haben.

Ich bin mir sicher, dass eine Kultur der guten, wertschätzenden Kommunikation eine Frage der Haltung dem anderen gegenüber und die Grundlage einer guten Beziehung sowohl in der ambulanten, als auch in der stationären Pflege ist. Und damit ist sie auch die Basis Ihres wirtschaftlichen Erfolgs.

Das System der Altenpflege erhält in den kommenden Jahren mehr Geld. Aber das reicht nicht aus, wenn schöpferische Ideen und eine Kultur der wertschätzenden Kommunikation gefragt sind. Kreativität und Kommunikation sind zu allererst eine Frage der Haltung. Die kann man nicht kaufen, die muss man einnehmen. Das wiederum setzt den Perspektivwechsel voraus, und die Bereitschaft, die Welt aus den Augen des Anderen zu sehen. Nehmen Sie sich die Freiheit, und unternehmen Sie was.