Claus Peter Müller
von der Grün

Ideen vernetzen Hessen

Der Wettbewerb „Hessen Ideen“ wurde für alle zum Erfolg - für Gründer, Hochschulen und das Land. Ich sprach mit Gründern, Juroren und Investoren, recherchierte in Hochschulen und im Wissenschaftsministerium.

Das Team HydroNeo (mit v.l.n.r.: Daniel Schmitt, Dr. Werapol Bejrandonda, Tim Wolters, Fabian Reusch) entwickelt ein Managementsystem für Aquakulturen und ist einer der drei Kasseler Starter. Foto: HydroNeo

„Eine wissenschaftliche Evaluation sowie eine Recherche unter unseren Partnern haben uns gezeigt, dass unser Konzept aufgeht“, sagt Jörg Froharth von der Universität Kassel. Er ist der Koordinator des landesweiten Ideen- und Gründerwettbewerbs „Hessen Ideen“ (mehr dazu unter: https://www.hessen-ideen.de/ ). Anfängliche Skepsis, zitiert Froharth aus der Evaluation, habe sich in die Wahrnehmung von Chancen gewandelt. Ebenso führe der Wettbewerb die hessischen Hochschulen und die Gründer in Netzwerken zusammen. Er stärke die unternehmerische und wissenschaftliche Kreativität. Schließlich diene der Wettbewerb dazu, den Gründungsgedanken in den Hochschulen zu verankern und Hessen als leistungsstarken Standort von Wissenschaft und Wirtschaft zu präsentieren. Froharth verweist auf das Urteil von Gründern, Juroren, Investoren und Hochschulen.

„Die Förderung und Unterstützung der wissensgetriebenen Existenzgründungen aus den Hochschulen heraus ist für uns eine programmatische Aufgabe unserer Wissenschaftspolitik. Wir wollen mit ihr unseren Beitrag leisten zum Strukturwandel in der Wirtschaft, zu Innovationen und zur Entwicklung unserer Regionen in Hessen. Dafür hat sich der Wettbewerb Hessen Ideen binnen kurzer Zeit als ideales Instrument erwiesen.“ Das sagt Hessens Wissenschaftsminister Boris Rhein.

„Der Wettbewerb war einer der Meilensteine auf dem Weg zu unserer Geschäftsidee“

„Die Teilnahme am Wettbewerb Hessen Ideen war einer der entscheidenden Meilensteine auf dem Weg der Entwicklung unserer Geschäftsidee“, sagt die Betriebswirtin Ivana Hrisova, und ihr Geschäftspartner, der Bauingenieur Pierre Büttner, urteilt: „Wir haben richtig viel mitnehmen können. Das hat uns ein ganzes Stück weitergebracht.“ Die beiden Studenten der Universität Gießen sind Entwickler eines innovativen Kanalsystems, künftige Gründer des Unternehmens VARIOKAN, das dieses System zur Marktreife entwickeln will, und die Sieger des ersten Wettbewerbs „Hessen Ideen“ von 2016. Sie fanden über die öffentliche Wahrnehmung, insbesondere durch die örtliche Presse, die ihnen der Sieg brachte, potentielle Kunden und den Kontakt zu einem Investor. Darum urteilen die Sieger, dass sowohl die Gründer, als auch der Wettbewerb „Hessen Ideen“ vor allem öffentliche Wahrnehmung benötigen und verdienen.

Entega sieht Investoren und Gründer in einer „Win-Win-Situation“

„Den Wettbewerb ,Hessen Ideen’ finde ich top. Er ist ein perfektes Tool für einen perfekten Pool an Gründern, helfenden Experten und unterstützenden Investoren.“ Das sagt Dr. Ana-Marija Ozimec, Senior Business Development Manager bei der Entega AG in Darmstadt. Für Start-ups gebe es nichts Besseres als einen Wettbewerb wie „Hessen Ideen“, denn Gründer brauchten die kritische Diskussion ihrer Idee, und das geht nur über einen Expertenpool. Der Wettbewerb sei vielfach „bahnbrechend“ für die Gründer und auch bereichernd für die beratenden Experten. Für Investoren wie Entega schließlich sei der Gründerpool, der sich über „Hessen Ideen“ sammelt, ideal. Entega ziele auf eine Win-Win-Situation: „Die Start-ups sind noch unentdeckt, und ich kann als Entega an der Entwicklung der Ideen mitarbeiten. Wir sind kein Venture Capital-Unternehmen und schauen nur auf die Rendite, sondern wir wollen helfen, das Start-up strategisch auszurichten, unsere eigenen Erfahrungen einzubringen und einen Nutzen für unsere Kunden zu stiften.“

Universität Marburg: „Wir haben uns vernetzt, wir tauschen uns aus“

Der landesweite Wettbewerb „Hessen Ideen“ und der hochschuleigene „UNI IDEEN MARBURG“ führen für Christian Rötz, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Existenzgründungsberater am Marburger Institut für Innovationsforschung und Existenzgründungsförderung (MAFEX) an der Philipps-Universität Marburg, zu regelmäßigen Kontakten mit den anderen Hochschulen in Hessen und zu mehr Verbindlichkeit im Umgang miteinander. „Wir haben uns vernetzt, wir tauschen uns aus, und wir werden sehr unterstützt vom Land Hessen und von den Gründerexperten aus Kassel.

„Wir brauchen ein Mindest, das das Ausprobieren erlaubt“

Dr. Karin Uphoff, Gründerin des Kooperations-Accelerators connectuu GmbH in Marburg und Jurorin im Wettbewerb „Hessen Ideen“ urteilt: „Die Welt verändert sich schnell. Wir brauchen ein Mindset, das das Ausprobieren erlaubt. Insofern ist der Wettbewerb ,Hessen Ideen’ eine der besten Schulen fürs Leben.“ Auch die Hochschulen, sagt Dr. Uphoff, werden in diesem notwendigen Wandel lernen.

„Frankfurt entwickelt ein Bewusstsein, dass noch mehr zu bewegen sein wird“

Frankfurt könne als Gründungsmetropole mit Berlin noch nicht ganz mithalten, urteilt Prof. Dr. Cord Siemon von der Frankfurt University of Applied Sciences. Berlin sei als Gründerstadt bekannter: „Aber Frankfurt bewegt sich und entwickelt an vielen Stellen ein Bewusstsein dafür, dass noch mehr zu bewegen sein wird.“ Dazu trägt für den geschäftsführenden Direktor des Instituts für Entrepreneurship (IFE) und Leiter des berufsbegleitenden MBA Studiengangs „Entrepreneurship und Business Development“ auch der von der Gründeruniversität Kassel koordinierte Wettbewerb „Hessen Ideen“ seinen Teil bei.

Wettbewerb beginnt jeweils im Spätsommer

Der Wettbewerb beginnt jeweils im Spätsommer mit einem online-Voting. In dieser ersten Phase hat jedermann die Gelegenheit, die Ideen online zu bewerten. Dieses Votum geht neben dem Urteil einer Gutachterrunde in die Wertung ein. Eine Jury mit Vertretern aus Wirtschafft und Wissenschaft (https://www.hessen-ideen.de/unterstuetzung/jury/) entscheidet über die Sieger. Die Gewinner werden noch am Abend der Jurysitzung im Herbst im Museum für Kommunikation in Frankfurt präsentiert. Zu Beginn des neuen Jahres werden die Ergebnisse im Quartier Zukunft der Deutschen Bank in Berlin dem nationalen Publikum vorgestellt und im Pitchclub Frankfurt vor Investoren.

Der Funke sprang über

Der Funke zur Initiation des Wettbewerbs „Hessen Ideen“ sprang im Sommer 2015 in einem Telefonat zwischen Jörg Froharth – dem Leiter der Gründungsberatung „Inkubator“ an der Universität Kassel - und Dr. Gerrit Stratmann über - dem verantwortlichen Referenten für den Wissens- und Technologietransfer zwischen Industrie und Wissenschaft und die Gründungsförderung im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Er entzündete sich im Diskurs über das Ergebnis einer Studie des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft von 2014. Danach belegte Hessen in der Kategorie „Ideenwettbewerbe“ des Rankings „Die Hochschule als Gründerwerkstatt – ein Bundesländervergleich der Gründungsförderung an Hochschulen“ nur den vorletzten Platz. Einzig die Universität Kassel, die Hochschule Fulda und die TU Darmstadt betrieben und nutzten das Instrument des Gründerwettbewerbs systematisch. Stratmann und Froharth überlegten, ob das so bleiben müsse, zumal die Universität Kassel mit Erfolg die Gründer fördert und dafür 2009 mit der die Abteilung UniKassel Transfer GmbH eine eigene Tochtergesellschaft errichtet hat. Seit Anfang 2013 trägt die Universität Kassel zudem das Prädikat „Gründerhochschule". Diese Auszeichnung wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des EXIST-Förderwettbewerbes verliehen. Mit ihr werden Hochschulen, die auf eine ausgeprägte akademische Gründungskultur Wert legen, gewürdigt und finanziell gefördert. 

Die Hochschulen vernetzen sich im Wettbewerb

Im Telefonat wurde die Idee geboren, die hessischen Hochschulen, in einem landesweiten Wettbewerb gleichsam zu vernetzen. Der Gedanke, Ideen- und Gründerwettbewerbe in den einzelnen Hochschulen aufzubauen, damit ein sichtbares Zeichen der intellektuellen und unternehmerischen Kreativität des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Hessen nach innen und außen zu setzen sowie schließlich den Hochschulen einen Impuls zur Zusammenarbeit und zum wechselseitigen Lernen voneinander zu setzen, verbanden sich im Ideen- und Gründerwettbewerb „Hessen Ideen“.

„Hessen Ideen“: schlank, kosteneffizient und schnell

Der Wettbewerb wurde schlank konzipiert, um kosteneffizient und schnell agieren zu können. Das Ministerium betraute den Inkubator der Universität Kassel wegen dessen Erfahrung und erwiesener Kompetenz in der Gründerbegleitung mit der Koordination des Wettbewerbs. Der

Wettbewerb selbst gründet auf einem Nominierungsverfahren. Im ersten Wettbewerb, der 2016 nur ein Jahr nach dem ideengebenden Telefonat ausgetragen wurde, waren alle staatlichen Hochschulen in Hessen eingeladen, jeweils bis zu drei Ideen einzureichen. Zehn Hochschulen mit 24 Ideen folgten der Einladung. In einer ersten Runde wurden die Ideen auf der Website des Wettbewerbs präsentiert und zum online-Voting freigegeben. „Die Ideengeber sollten bewusst in die Öffentlichkeit gehen und mit der Veröffentlichung ihrer Idee für ihren Wettbewerbsbeitrag sowie für den Weg werben, Kreativität und Unternehmertum zu verbinden“, sagt Froharth. Das Ergebnis war für ihn überwältigend: „Wir hatten gar nichts erwartet und erhielten mehr als 4000 Votes.“

Die besten Ideen kommen auf die nationale Bühne

Nach dem online-Voting wurden die Ideen von etwa zwei Dutzend Gutachtern aus ganz Hessen bewertet, bevor die Jury ihre Entscheidung traf und nicht nur die drei Sieger, sondern die zehn besten Ideengeber unmittelbar darauf im Museum für Kommunikation in Frankfurt in einem Pitch ihre Ideen präsentierten. Später wurden die Ideen nochmals in der Hessischen Landesvertretung in Berlin einem nationalen Publikum sowie im Pitchclub in Frankfurt vor geladenen Gästen und Investoren auf einer Gründerparty vorgestellt. Mit jeder Präsentation wurde die Vorstellung besser.

Straffer Zeitplan: Das Kasseler Koordinatoren-Team hat es geschafft

Das Konzept ging auf.  Miriam Cartheret und Annika Wallbach, die den Wettbewerb in Kassel operativ betreuen, berichten von ihren Erfahrungen. Manche, sagt Annika Wallbach, hatten zu Beginn offene Ohren, andere, wie Fulda, waren vollkommen aufgeschlossen. Dritte wiederum sagten: „Ich glaube nicht, dass Sie das Schaffen mit ihrem straffen Zeitplan.“ Miriam Cartheret hat erfahren, „es hängt total viel von der Resonanz des Gegenübers an der anderen Hochschule ab.“ Die University of Applied Sciences in Frankfurt nahm in der ersten Runde des Wettbewerbs als Partnerhochschule „Hessen Ideen“ zum Anlass, unter dem Rat erfahrener Gründungsberater einen eigenen Wettbewerb aufzubauen, und Miriam Catheret freut sich, dass im zweiten Wettbewerbsjahr die Universität Marburg, „die zunächst kritisch war“, die aktuelle Partnerhochschule ist, die im Wettbewerb eine eigene Gründerbegleitung errichtet.

„Der persönliche Kontakt unter den Hochschulen nutzt der guten Sache“

„Wir sind in den beiden Jahren mit allen Teams aller teilnehmenden Hochschulen in Kontakt gekommen und haben uns spätestens bei der Preisverleihung in Frankfurt persönlich kennengelernt. Vor allem der persönliche Kontakt hat für jeden einzelnen, aber auch für den Alltag und die Zusammenarbeit der Hochschulen an der gemeinsamen guten Sache viel gebracht“, sagt Miriam Cartheret: „Wir erhalten Einblick in jeweilige Kultur der Gründerunterstützung, sehen wie es da und dort läuft.“

„Die Teams der Hochschulen lernen voneinander“

Miriam Cartheret stellt fest, dass die Teams jeweils viel von den anderen gelernt haben: „Von der TU Darmstadt haben wir zum Beispiel gelernt, sich als Hochschule niemals unter Wert zu verkaufen, den Kontakt zu Sponsoren zu stärken und die Sponsorengelder selbstbewusst anzusetzen und einzuwerben.“ Aus Fulda stamme die Idee, künftig das online-Voting stärker zu gewichten und alle Teams, die sich für eine Gründung interessierten, zu Workshops einzuladen. Jörg Froharth schließlich berichtet von der „informellen Vernetzung über die Kontakte“, die mit der Vorbereitung und Begleitung des Wettbewerbs „Hessen Ideen“ gewachsen sei: „Diese Vernetzung ist unschätzbar wertvoll, denn sie befreit uns aus der dem Konkurrenzdenken, in das wir als Hochschulen in dem Wettbewerb um die stets begrenzten staatlichen Mittel im Alltag häufig verfallen. In dem Ideen-Wettbewerb entdecken wir hingegen, wieviel wir gemeinsam nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ und auf Augenhöhe erreichen sowohl am, als auch für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Hessen.“

Evaluation: „Die anfängliche Skepsis wandelte sich in die Wahrnehmung der Chancen“

Im zweiten Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Wettbewerbs „Ausbau der Gründungskultur an hessischen Hochschulen -- Einführung eines hessenweiten Ideenwettbewerbs – Projektevaluation, Kassel 2017“ heißt es: „Die anfänglich teilweise vorherrschende Skepsis der Hochschulen gegenüber der Teilnahme am hessischen Ideenwettbewerb wandelte sich nach der ersten Runde in eine Wahrnehmung der Chancen für die Sensibilisierung der Gründungsthematik in Hochschulen. Ebenso wird die Prämierung der Gewinner und die daraus resultierende Wertschätzung als eine Anreizstruktur gesehen, welche helfen könnte, die Gründungsthematik in Hochschulen zu verankern und das Thema für Studierende dauerhaft präsenter werden zu lassen. Für die gründungsbereiten Teilnehmenden werden die Vorteile in den Bereichen des Netzwerkaufbaus und der Werbung für ihre Gründungsidee gesehen.“