Claus Peter Müller
von der Grün

Gerät die Welt aus den Fugen?

Zumindest klafften Spalten - etwa zwischen Europa und den USA. Das hat Dr. Meinrad Lugan, Vorstand der B. Braun Melsungen AG und Sprecher des Beirats im Netzwerk Hessen-China, im Interview geantwortet. Zugleich versuchten Deutschland und China einander näher zu kommen.

Herr Dr. Lugan, manches hat sich gewandelt in den vergangenen Jahren und insbesondere in jüngster Zeit: Gerät die Welt aus den Fugen?

Es ist nicht bekannt, ob die Welt tatsächlich Fugen hat. Aber falls es solche gibt, verschieben diese sich aktuell. Es treten Spalten auf zwischen Europa und Groß-Britannien, USA, Türkei und anderen Ländern, und man hofft sich näher zu kommen auf einer Asien/China-Europa/Deutschland-Achse. Es sind solche Bewegungen, die Reaktionen erfordern und ein neues Herangehen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im sozialen und kulturellen Verständnis. Hier war und ist das Netzwerk Hessen China ein besonders wertvoller Baustein.

Das heißt: Die Wirtschaft ist gut beraten, sich auch und vielleicht noch mehr mit Politik zu befassen?

Wirtschaft muss sich mehr mit Politik beraten. Schließlich treffen die Auswirkungen – zum Beispiel der Brexit und die Border Adjustment Tax der USA insbesondere die Wirtschaft. Gerade die deutsche Wirtschaft ist hiervon als Exportmotor natürlich betroffen. Spricht man über Nordhessen, hat die Exportquote jüngst die 50-Prozent-Marke bei dem Anteil an der Wertschöpfung überschritten. Daraus folgt, dass Politik national und international zunehmend wichtiger wird, auch hier in der Region.

Und wie ändert sich die Bedeutung Chinas auf einem Globus, in dem sich geopolitisch die Kraftzonen verschieben?

China sieht sich in der Rolle, eine Weltmacht mit großem Ehrgeiz zu sein, die zur führenden Weltmacht aufsteigen wird. Gleichwohl ist man technologisch und im Austausch mit anderen Regionen auf eine reibungslose Zusammenarbeit angewiesen. Und es entstehen zunehmend auch Innovationen in China und eine lebendige Startup-Szene, von denen auch wir profitieren können. Es gilt also für uns, weiterhin technologisch vorne zu sein, aber auch lokale Komponenten in China zu erzeugen, Wertschöpfung dort zu schaffen, denn es wird sicher nur derjenige erfolgreich sein, der in Zukunft auf beiden Seiten – in Europa und Asien - ein starkes Standbein behält.

Und was heißt das für uns heute in Deutschland und Europa?

Ich denke, wir müssen lernen, wie wir in Zukunft den Austausch an Innovationen in beide Richtungen befruchten. Die Zeit einer verlängerten Werkbank, und die Zeit anfängliche Business-Kontakte zu schaffen, geht dem Ende entgegen. Jetzt zählt um so mehr die Integration der Wertschöpfung, beginnend mit Forschung und Entwicklung, der Austausch der Menschen und des Wissens. Hier sollten wir auch keine Angst haben, schließlich sind gute Dinge meist im Miteinander entstanden. Das ändert natürlich auch die Rolle des Netzwerks Hessen China, weg von den Geschäftsanbahnungsreisen, - welche überaus erfolgreich waren, und hierfür muss man dem Team und Herrn Minister a.D. Schmitt sowie Prof. Zhang ein großes Kompliment aussprechen, -  hin zur Moderation von Partnerschaften, zum Austausch in Themen der Wissenschaft und der Innovation. So behalten wir die Nase vorn.

Herr Dr. Lugan, China ist – nach Ihren Worten – in einer „Transparenzphase“, es führe Kapitalverkehrskontrollen ein, stelle sich gegen die Korruption, setze Regeln und kontrolliere deren Einhaltung. Was bedeutet das im Alltag?

Vor einigen Jahren war es sicher schwieriger, zum Beispiel bei einem Patentrechtsstreit, schnell und transparent Recht zu bekommen und dies auch durchsetzen zu können. Da ist China heute weitaus professioneller. Hier lernt das chinesische Rechtssystem also schnell dazu. Korruption ist das Übel, welches jeglichen Wettbewerb um die beste Idee verhindert. Dass China nun hier mit großem Engagement und Härte durchgreift, kann uns nur recht sein, denn es schafft vergleichbarere Wettbewerbspositionen und vor allem nachvollziehbarere Entscheidungen.

Wandelt sich die chinesische Geschäftswelt zu einem System nach europäisch-amerikanischen Regeln?

Eindeutig: Ja. Natürlich wird China nie eins zu eins das US- oder das europäische Gerüst übernehmen, aber im Lernen von diesen Systemen werden in China Mechanismen und Regeln eingeführt, die natürlich näher am westlichen Denkmodell liegen als dies früher der Fall war. Entscheidend ist aber dennoch, dass chinesische und asiatische Kultur auch weiterhin einen anderen Umgang miteinander von uns erfordern werden, um dort erfolgreich zu sein. Das will auch gelernt sein, und auch hier kann das Netzwerk Hessen China in Zukunft eine große Rolle spielen.

Wie hat sich der chinesische Markt – sagen wir in den 15 Jahren von 2003 bis zum kommenden Geschäftsjahr - für die B. Braun Melsungen AG entwickelt? Der regionale Umsatz Ihres Hauses dürfte in diesem Zeitraum von etwa 150 auf 700 Millionen Euro gestiegen sein.

Wir sind vor mehr als 15 Jahren als Importeur gestartet.  Mittlerweile sind wir mit mehreren Produktionswerken - für lokalen Absatz und auch für den Export – unterwegs. Heute befindet sich B. Braun in der dritten Phase. Wir entwickeln Produkte in China, oder passen diese an den chinesischen Markt an, stellen diese dann in Werken nicht nur in Asien her und vertreiben sie global. Daraus entsteht für die Zukunft nicht nur ein Produkt und Produktionsnetzwerk, sondern wir denken auch, den zukünftigen Anforderungen von immer selbstbewussteren Kunden in China erfolgreich gegenüber treten zu können.

Wann knacken Sie die Milliardengrenze in China?

Ich denke, wenn wir unsere Strategie erfolgreich umsetzen und damit auch weiterhin zweistellig wachsen, sollten wir Anfang der kommenden Dekade, also in sehr kurzer Zeit, über die Milliardengrenze kommen können. Kaufkraft, Demographie, bessere soziale Sicherungssysteme in China und unsere eigenen Mitarbeiter und Produkte werden dies unterstützen.

Wie verändert ein Markt mit 1,3 Milliarden Menschen in China ein deutsches Unternehmen?

In China wird man ein "chinesisches Unternehmen" mit deutschem Ursprung. Der chinesische Markt verlangt nach höchster Qualität, welche, denke ich, unseren Produkten auch deswegen zugeschrieben wird, weil wir ein deutsches Unternehmen sind. Chinesisches Unternehmen wird man aber durch die lokal gelebte Kultur und die Anpassungen der Produkte.

Wann verlegen Sie das Headquarter von Melsungen nach Asien?

Wir sind ein globales Unternehmen mit Melsunger Wurzeln. In den Regionen sind wir mit begabten engagierten Kollegen und Mitarbeitern vertreten und haben ein Regionalheadquarter in Penang. So können wir aus Melsungen auch vor Ort in China sein, ohne Nordhessen zu verlassen.

Ich führte das Gespräch mit Dr. Lugan während der jüngsten Beiratssitzung des Netzwerks Hessen-China in Kassel als deren Moderator.