Claus Peter Müller
von der Grün

Aus Leitbildern wird Zukunft

Eine Regionalplanung im konstruktiven Konsens ist Basis des Erfolgs einer Region. Für Cornelia Zuschke hat das Regierungspräsidium Kassel am Erfolg von NordOstHessen großen Anteil. Dort trägt Susanne Linnenweber für die Regionalplanung Verantwortung.

Cornelia Zuschke (links), einst Stadtbaurätin in Fulda sowie Darmstadt und heute Düsseldorfer Stadtplanungsdezernentin, im Gespräch mit Susanne Linnenweber und Claus Müller v. d. Grün.
Foto: Carina Jirsch

Susanne Linnenweber ist im Regierungspräsidium Kassel die Frau „fürs gute Leben“, denn als Leiterin des Dezernats 21 ist sie – neben dem Bau- und Wohnungswesen sowie der Wirtschaft – für die Regionalplanung zuständig. „Die Landes- und Regionalplanung tut alles für eine gute, abgestimmte Entwicklung der Region, damit es sich hier in Nord- und Osthessen gut und gerne leben und arbeiten lässt“, sagt die Planerin, die bei der Bezirksregierung in Köln ihr Referendariat absolvierte und über das Wirtschaftsministerium in Hannover nach Nordhessen kam. Es geht im Kern um Fragen wie diese: Wie wollen wir künftig leben? Wo wollen wir wohnen und wo arbeiten und wo einkaufen und uns versorgen? Wo sollen Straßen und wo Bahnlinien verlaufen? Wo sind die besten Standorte, um allein dort mit möglichst wenigen Windkraftanlagen den meisten Strom zu erzeugen? Wie sollten unsere Neubaugebiete angelegt werden, damit die Häuser wenig Energie verbrauchen? Und wollen wir überhaupt Neubaugebiete, wenn in den Dörfern und Kleinstädten die Fachwerkhäuser leer stehen und verfallen?

Alle acht Jahre soll ein neuer Regionalplan vorliegen. So will es das Hessische Landesplanungsgesetz. Doch mit Planwirtschaft, sagt Susanne Linnenweber, habe ihre Planung nichts zu tun. Aber regelmäßig gelte es, die Leitbilder von Bund und Land mit der Ausgangslage und den Zukunftsanforderungen im Regierungsbezirk abzugleichen und daraus die Ziele für die Entwicklung der Region formulieren.

Die Regierungspräsidien sind für diese Aufgabe wie geschaffen: Hier arbeiten die Fachleute für alle Lebensbereiche der Menschen, Tiere, Pflanzen, für die natürlichen Lebensgrundlagen, für Wirtschaft, Verkehr und Siedlungsstrukturen unter einem Dach zusammen. Sie finden die Expertise fürs jeweils andere Fach im Nachbarzimmer, auf dem nächsten Flur oder beim Kaffee in der Kantine. Sie diskutieren gemeinsam ein Problem und finden heraus, welche Auswirkung ein Projekt hat. Die Aufgabe dieser Frauen und Männer in den Fachdezernaten ist es, sich für die Belange ihres Metiers einzusetzen und widerstreitende Interessen zum Wohle des Ganzen zusammenzuführen.

Etwa fünfzehn Verwaltungsfachleute für Stadt- und Landschaftsplanung, Geologie, Geographie, Verwaltungsrecht und andere Fachgebiete arbeiten für die Regionalplanung. „Eine bunte Truppe“, sagt Susanne Linnenweber. Ihr Alter sei ebenso unterschiedlich wie ihre Breite an Berufsbiografien, und auch in der regionalen Herkunft unterscheiden sie sich. Sie bringen An- und Einsichten aus vielen Teilen Deutschlands mit. Für Linnenweber eine Bereicherung: Wer aus Nordrhein-Westfalen stamme, kenne auch andere Größendimensionen in der Landesplanung. Der Regierungsbezirk Düsseldorf ist mit 5,5 Millionen Einwohnern fast so groß wie ganz Hessen.  Und wer, wie Susanne Linnenweber, aus dem Revier stamme, habe eine andere Vorstellung von großtechnischen Anlagen als ein Nordhesse: „Wir müssen mit sehr heterogenen Anforderungen umgehen – da sind unsere unterschiedlichen Perspektiven ein großer Vorteil.“

Das ist jedes Mal ein Vorteil, wenn der Regionalplan fortgeschrieben und am Ende von der Regionalversammlung beschlossen wird, deren Zusammensetzung die politischen Mehrheitsverhältnisse entsprechend der Kommunalwahlergebnisse widerspiegelt. Die Arbeit am neuen Regionalplan erstreckt sich meist über zwei Jahre und beginnt mit dem Blick in den Rückspiegel: Wie hat sich die Region entwickelt und inwieweit hat sich der frühere Plan bewahrheitet? Oder gab es zahlreiche „Abweichungsverfahren“? Die gab es, denn in allen Bereichen von Handel, Industrie, Logistik und Gewerbe hat die Region in der Planungsperiode von 2009 bis 2016 alle Erwartungen übertroffen. Und sie stellte sich mit Erfolg der großen aktuellen Herausforderung der Energiewende. Und die demographische Entwicklung? Sie ist „besser als erwartet“, blickt Susanne Linnenweber zurück und sagt voraus: „Wir werden weniger, älter, bunter.“

Starkes Entwicklungspotential haben neben Kassel und seinem Umland vor allem die Orte entlang der europäischen Verkehrsachsen, die durch die Region führen. „Gut“ entwickelten sich deshalb weiterhin Hersfeld und Kirchheim, Melsungen und Malsfeld, Korbach und Bad Arolsen. Eschwege und Bad Sooden-Allendorf seien „deutlich weiter, als mancher es sich vordergründig denkt“, und Fulda sei schon sehr viel länger ein sehr starker Standort.

Zu Beginn der Fortschreibung des Regionalplans steht fest: Die Lage im Regierungsbezirk Kassel ist richtig gut. Engpässe an Facharbeitskräften und Auszubildenden unterstreichen nur die Chancen, die mit der jüngsten Zuwanderungswelle kamen, heißt es in der Behörde.

Die Logistik wurde zu einem Merkmal der Region, doch viele der erfolgreichen Familienunternehmen investieren auch abseits von Verkehrswegen und zentralen Orten. Ein leistungsstarkes Breitbandnetz ist elementare Voraussetzung für leistungsstarke Räume. Dort, wo es noch Lücken hat, realisieren es die Landkreise in interkommunalen Projekten. Nahezu gedeckt ist der Bedarf an großen Straßenbauprojekten, die sich sämtlich in der Realisierung befinden. Auf der Schiene müsse die Bahn noch Anstrengungen unternehmen, um mit der Entwicklung im Raum Fulda mitzuhalten. Die Planungsverfahren zum Neu- und Ausbau von Schienenstrecken rund um Fulda seien aber im Gange. Cornelia Zuschke sagt, insbesondere der Raum Fulda habe sich „prächtig“ entwickelt: „Es hat gepasst. Die Menschen sind positiv konservativ geprägt."

Beim Klimawandel im Regierungsbezirk geht es nicht mehr allein um dessen Entschleunigung, und in der Umstellung auf die Energiewende ist der Bezirk Kassel in Hessen führend. Vor den anderen Regierungspräsidien hat jenes in Kassel den Teilregionalplan Energie vorgelegt, dem das Hessische Kabinett im Mai 2017 nach gründlicher Prüfung zugestimmt hat. „Das ist ein wichtiger Schritt auf dem langfristigen Weg in eine Energieversorgung, die ausschließlich auf erneuerbaren Quellen basiert’, sagte der Minister Tarek Al-Wazir und lobte im Mai 2017 öffentlich die fachliche Arbeit und das Engagement des Regierungspräsidiums Kassel sowie der Regionalversammlung.

„Die Entwicklung im Regierungsbezirk hat enorm Fahrt aufgenommen und legt weiter kräftig zu“, wagt Susanne Linnenweber eine Prognose.  Der Regierungsbezirk liege an den großen mitteleuropäischen Transversalen und entfalte mit der Universität Kassel, der Hochschule Fulda und anderen Bildungseinrichtungen ein immer stärkeres Potential. „Leute, die hier groß geworden sind, gehen oft nicht mehr weg; sie wollen hier leben und arbeiten. Viele, die hier studiert haben, wollen lieber hier ihre Geschäftsidee realisieren“, sagt die Regionalplanerin. Beeindruckend sei die Vielzahl an kleinen jungen Betrieben und Mittelständlern. Nordhessen sei mehr als das Volkswagenwerk Kassel. Wichtig seien auch weiche Standortfaktoren wie die reizvolle Landschaft, das Staatstheater Kassel, die vielfältige freie Szene, der Kultursommer Nordhessen, der Musicalsommer Fulda und die Hersfelder Festspiele. Aber auch das Regionalmanagement, der Zweckverband Kassel und eine große Vielfalt interkommunaler und fachübergreifender Kooperationen, machen das Leben und Arbeiten in der Region schöner und leichter.

Der Text ist Teil der Publikation „Wir machen Staat. Klar.“ vom Oktober 2017. Das Foto entstand am Festakt ob der Gründung des Regierungspräsidiums Kassel vor 150 Jahren.

https://osthessen-news.de/n11571688/regierungsprasidium-ein-bunter-haufen-menschen-im-mittelpunkt.html