Claus Peter Müller
von der Grün

„Wir machen Staat. Klar“

Das ist der Titel einer Publikation, in der ich der Frage nachgegangen bin: Wie funktioniert das – ein Regierungspräsidium?

Hier geht es zur Publikation und weiter unten im Text zu meiner Antwort:
https://rp-kassel.hessen.de/sites/rp-kassel.hessen.de/files/content-downloads/Broschur_RP-Kassel_150_82S_Web.pdf

Das Regierungspräsidium Kassel hat ein Leitbild. Aber lebt es? Und wird es gelebt? Wir diskutierten darüber. Wir – das sind einerseits die Vertreter der Behörde, und andererseits ich, der außenstehende Dritte, der sich als Journalist wiederholt mit Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreformen sowie mit Hessen und seinen Regionen befasst hat und 1991 zum ersten Mal über „den RP“ schrieb. Wir kamen überein, die unmittelbaren Partner des RP im Verwaltungshandeln – also Vertreter des Landes, der Region und der Kommunen - zu Wort kommen zu lassen. Gesagt, getan.

Die Aussagen der Interviewpartner sprechen für sich. Der „RP“ funktioniert. Die Behörde und ihre Mitarbeiter nehmen Aufgaben für das ganze Land kompetent wahr. Sie moderieren, ergreifen Initiative, vermitteln und vertreten Interessen. Sie führen komplexe Verfahren mit abgestimmten Entscheidungen zum Ziel. Sie tragen mit ihrem Wissen und Können dazu bei, die Region ökonomisch und ökologisch als Lebensraum für die Menschen zu entwickeln. Der „RP“ sorgt dafür, dass die Politik im Alltag wirklich ankommt.

Bisweilen wird die Behörde zunächst als störend wahrgenommen, als Beschützer von Molchen und Fledermäusen, als eine Institution, die an unangenehme Wahrheiten wie den demographischen Wandel erinnert und die das vermeintlich Einfache ins Unverständliche verkompliziert. Es ist aber nicht die Behörde, die stört und behindert. Es sind die unterschiedlichen, legitimen Interessen einzelner Menschen, die aufeinandertreffen, wenn etwa der Gesundheitsschutz des einen dem Bedürfnis nach Broterwerb des anderen entgegensteht. Solche Gegensätze bestehen immer. Aber häufig erst, wenn sich der RP einschaltet, werden die widerstreitenden Interessen für alle sichtbar. Die komplexen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die dann folgen, sind die Instrumente, mit denen der demokratische Rechtsstaat für einen möglichst fairen Ausgleich der Interessen zum Wohle aller sorgt. Das mag abstrakt und abgehoben klingen, aber es erleichtert uns allen das Leben, wie ein Blick in Länder lehrt, wo Autokratie und Willkür herrschen. Politik ist mehr als nur ein „Deal“. Mit einer Entscheidung, wie für oder gegen den Bau eines Verkehrsweges, müssen Menschen über Generationen leben. Sie ermöglicht Chancen für Jahrhunderte oder schließt sie faktisch für immer aus. Darum lohnt es, um die bestmögliche Entscheidung hart zu ringen.

Doch in diesem Regierungsbezirk fallen selbst die umstrittensten Entscheidungen - etwa über die Ausweisung von Gewerbeflächen - seit langem schon im Konsens. Regionalplanung und Regionalversammlung achten und ergänzen einander. Sie nehmen die ganze Region in den Blick, nicht nur eine Stadt oder einen Kreis. Sie gestalten Politik beinahe reibungslos, wenn wir an die Debatten um Windkraftflächen denken und sie mit dem Streit in anderen Landesteilen vergleichen. Regionalplanung und Regionalversammlung sorgen dafür, dass das, was Bund und Land entscheiden, im Leben der Städte, Dörfer und Weiler am Ende funktioniert. Sie fangen Nachteile und Mängel sowohl vollzogener, als auch unterlassener Gebiets- und Funktionalreformen auf, indem sie einen zeitgemäßen Interessenausgleich finden. NordOstHessen lebt daher – politisch - ziemlich unbemerkt.

Das hat Gründe: Der „RP“ erfüllt seine Aufgabe des Bündelns und Vermittelns zwischen den politischen Ebenen von Kommunen und Staat seit langem. Wenn eine Behörde über mehr als eineinhalb Jahrhunderte Bestand hat, wenn sie verschiedene politische Systeme und Kriege überdauert hat – ähnlich wie die deutsche Sozialversicherung –, wenn sie sich neuen Anforderungen immer wieder anpasst, wenn sie ihre Funktion erfüllt und respektiert wird, dann hat sie sich ganz offenbar bewährt. Wenn es sein muss, gehen die Nordhessen für ihren „RP“ sogar auf die Straße. Andernorts glaubt einem das (fast) keiner.

Zudem umfasst der Regierungsbezirk Kassel eine historisch gewachsene Einheit, die als ein Lebensraum empfunden wird. Das ernstere Kassel, aber auch das heitere Fulda sind die Hauptstädte einst selbständiger politischer Einheiten, und sie sind heute – infrastrukturell sowie aufgrund ihrer Größe und ihres ökonomischen Gewichts – die beiden unbestrittenen Zentren im Bezirk. Sie konkurrieren nicht. Woanders ist das alles nicht so einfach.

Schließlich ist der RP „nah dran, nicht nur räumlich“, wie es ein Bürgermeister sagt. Die Zusammenarbeit gelinge „auf Augenhöhe“, heißt es immer wieder. Es herrsche gegenseitiges Vertrauen. Der Präsident selbst und die Vertreter der Behörde verfügten über die Kenntnis des Ortes. Sie seien ständig unterwegs, spürten die Probleme auf und lösten sie häufig, bevor sie überhaupt zum Verwaltungshandeln führten. Nicht überall ist das so scheinbar selbstverständlich.